An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
Junge. Dem ersten Mann, der mich anfassen wollte, nagelte ich die Hand fest.»
Ich hätte wissen müssen, dass eine Geschichte, weshalb eine Frau so wird, grässlich ist , dachte Janna.
«Ich weiß, was du denkst.» Romina klang recht friedlich. «Dass eine wie ich sowieso nie einen Kerl abbekommen wird, richtig? Man lehrt eine feine Dame, wie man eine Gabel hält, wie man einen Knicks hier und einen Augenaufschlag da macht, und sie muss Gedichte aufsagen und musizieren können, und all das nur, damit sie einem Mann gefällt. So ist es bei dir doch auch, oder?»
«Nun ja.» Das ließ sich schwerlich entkräften. «Musizieren kann ich allerdings nicht.»
Romina stieß sie so ruppig mit dem Ellbogen an, dass es wehtat. «Den Mann, den ich will, gibt es hier sowieso nicht.»
Schon wieder musste Janna über diese Frau staunen. Ein leidenschaftliches Glitzern lag in ihren Augen, das nichts mit der Lust am Kämpfen oder Stehlen zu tun hatte. Es war jenes Leuchten, das man überall sah, ganz gleich, zu welcher gesellschaftlichen Kaste ein Mensch gehörte. «Welchen Mann wollen Sie denn?»
«Bolívar.»
«Bitte? Kennen Sie ihn denn?»
Die Llanera lachte kehlig. «Allerdings! Ich habe eine Nacht mit ihm das Zelt geteilt. Das war vor ein paar Monaten, als er kam, um uns für seine Sache zu gewinnen.»
Unglaublich.
Plötzlich war Romina wieder die fauchende Wildkatze. «Ich liebte ihn vom ersten Augenblick an! Weißt du denn, was das ist? Zu lieben?» Sie meinte wohl, hoffnungslos zu lieben, aber ihr Stolz verbot es ihr, es so zu nennen.
«Ich weiß das, ja», erwiderte Janna hoheitsvoll.
«Wie heißt er?»
«Warum wollen Sie das wissen?»
«Sag schon!»
«Das geht Sie nichts an.» Janna erhob sich, strich das Kleid glatt und machte sich auf den Weg zurück zu den Zelten.
«Du bist dumm, catira !», schrie Romina hinter ihr her. «Dumm wie das Stroh, das du ja auf dem Kopf hast!»
Ziege!
Das Einschlafen in der fremden Hängematte fiel Janna schwer. Eigentlich, so dachte sie, konnte der Morgen nicht mehr fern sein. Das Zelt stank so fürchterlich nach Leder, Pferd und Schweiß, dass sie flach atmete. Draußen waren die Männer endlich verstummt; einige flüsterten noch miteinander, andere ließen das Gras unter den Stiefeln rascheln, während sie herumliefen – Wachtposten oder welche, die sich in die Büsche schlugen, um all das Gesöff wieder loszuwerden. Trotz allem war Janna froh, einen Schlafplatz zu haben.
Die Llanera kam mit einem brennenden Span ins Zelt, den sie in den Erdboden steckte. Unter halbgeschlossenen Lidern sah Janna zu, wie sie sich mit geschmeidigen Bewegungen entkleidete. Ihr Körper war mager; jede Rippe ließ sich zählen. Die Brüste klein und spitz. Über einer Wasserschale wusch sie sich notdürftig, dann kleidete sie sich wieder in ihr Männerhemd und die Pantalons. Nur die stinkenden Fußlappen und die Stiefel ließ sie unter ihrer Hängematte liegen. Janna versuchte sich vorzustellen, wie sie in Bolívars Zelt geschlichen war und ihn verführt hatte. Vielleicht war es ja auch andersherum gewesen, er war zu ihr gekommen. So oder so – ihre Phantasie reichte nicht aus, sich das auszumalen. Aber sie spürte den schmerzhaften Stachel des Neids. Diese Frau hatte sich einfach genommen, was sie begehrte. Und für eine Nacht Erfüllung gefunden. Janna hingegen war überzeugt, dass sie nie mehr erleben würde, wie sich das anfühlte.
4. Kapitel
Sie war doch noch eingenickt und hatte wie ein Stein geschlafen. Erst als Romina aufsprang und gegen ihre Hängematte stieß, wachte Janna auf. Ein Lichtstreifen fiel durch den Schlitz der Eingangsplane auf Romina, die in ihre Stiefel schlüpfte, nach irgendetwas schnappte – einer Pistole – und hinausstürzte. Kampflärm drang in Jannas Ohren und weckte sie vollends. Schüsse knallten. Gott im Himmel, der Krieg war zurückgekehrt! Zappelnd versuchte sie aus der Hängematte zu kommen. Eine Gestalt stürzte ins Zelt – ein Llanero, eine Hand auf eine klaffende Bauchwunde gepresst. Er taumelte auf Janna zu. In dem Versuch, von ihm fortzukommen, verlor sie das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Neben ihr stürzte der Sterbende der Länge nach hin. Weitere Gewehrsalven donnerten. Zornige Rufe, verzweifelte Schmerzensschreie – alles war zu vertraut. Nur dass sich Janna diesmal auf dem Schlachtfeld befand und nicht weitab in der schützenden Stadt. Oder war es doch ein Traum? Eine lächerliche Hoffnung.
Was sollte sie nur tun? Kaum hatte
Weitere Kostenlose Bücher