An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
der zum Nachbarhaus führte, wo es ein paar Krankenbetten und Hängematten gab. Janna war wie erstarrt. Die Arme über den Schultern der Männer, wankte Arturo an ihr vorbei. Er bemerkte sie nicht. Arturo, ich bin hier . Die Stimme versagte ihr. Sie wollte die Hände nach ihm ausstrecken; ein vierter Soldat schob sie beiseite, und so krallte sie die Finger in die eigenen Haare, weil sie irgendetwas ergreifen musste. Das Glück, Arturo wiederzusehen, prallte gegen das Entsetzen über seinen Zustand. Sie zitterte, wankte, und als sie fast stolperte, erinnerte sie sich wieder daran, Füße zu haben. Sie hastete hinter den Soldaten her.
«Señorita Sievers, nein.» Der Doctor hielt sie am Arm zurück. «Ich habe Ihnen doch verboten, diesen Trakt zu betreten.»
«Das weiß ich nicht mehr, tut mir leid.»
«Dort liegen die Männer», erklärte er.
«Bitte. Ich … ich kenne ihn.» Und bitte , so flehte sie ihn in Gedanken an, ziehen Sie jetzt nicht die richtigen Schlüsse .
Dazu war er nicht imstande oder vielleicht nur zu erschöpft. «Also gut. Aber warten Sie; ich muss die Platzwunde an seinem Kopf nähen.»
Die Soldaten stapften an ihm vorbei Richtung Ausgang. Wie an der Schnur gezogen, folgte Janna dem Doctor. Die Männer hatten Arturo in ein Bett verfrachtet. Ein blauer, stellenweise dunkelvioletter Verband lag um seinen Kopf. Vorsichtig entfernte Cañellas den Stoff und tupfte eine Tinktur auf die Platzwunde, was Arturo aufstöhnen ließ.
«Nadel und Faden.» Der Doctor blickte zu einem Tisch. «Bitte.»
Janna eilte, das Etui mit dem Gewünschten zu holen. Beim ersten Stich kniff sie die Augen zusammen; beim zweiten hörte sie Arturo deftig fluchen. Beim dritten kam sie auf den wohltuenden Gedanken, etwas Nützlicheres zu tun. Sie lief in die Küche, wo sie vorhin frisches Wasser in eine Reihe von Krügen gefüllt hatte, goss etwas in eine Schüssel, ließ ein Stück Seife hineingleiten und legte sich saubere Tücher und Verbände über den Arm. Neben dem Bett, in das Arturo verfrachtet worden war, stellte der Doctor einen Paravent auf, um die anderen drei oder vier Kranken vor ihren weiblichen Blicken zu schützen. Nun gut.
«Ich lasse die Tür einen Spalt auf», sagte Cañellas. «Wenn etwas ist, rufen Sie mich.»
Dankend nickte sie ihm zu. Nun, sie musste zugeben, dass Arturo nicht wie ein Mann aussah, den man so ohne weiteres mit einer Dame allein lassen mochte. Sie stellte die Schüssel auf einem Hocker ab, tränkte ein Tuch und zog die dünne Decke, die Cañellas über ihm ausgebreitet hatte, bis zur Mitte hinunter. Da waren die alten Brandnarben und das neue Brandmal um seine linke Brustwarze, das ihn als Kannibalen verhöhnte. Einige alte und frische Blutergüsse und Narben von Peitschenhieben. Neu war ein rötliches Mal um seinen Hals, wie ein Ring, als habe man ihn mit irgendetwas erwürgen wollen. Er war immer noch der Wolf, aber ein niedergestreckter. Die Tränen unterdrückend, tupfte sie ihm den schmutzigen Schweiß vom Gesicht. Bolívar hatte sein Wort gehalten und Arturo befreit. Befreit! Es würde Tage dauern, bis diese überwältigende Wahrheit in ihrem Kopf angekommen war.
«Mädchen …»
«Janna. Ich heiße Janna, hast du das vergessen?»
«Wie könnte ich. Gib mir das.» Seine Hand, die fast schwarz vor Dreck und altem Blut war, entwand ihr den Lappen; er wälzte sich auf die Seite, tauchte ihn ins Wasser und klatschte ihn sich ins Gesicht, sodass alles, das Kissen und das Laken darunter, sofort nass war. «So macht man das. Sonst stehst du morgen noch da. Wie hast du gesagt? Du bist nicht aus Salz?»
«Zucker.»
«Also: Ich bin nicht aus Zucker, Mädchen. Janna.» Er tränkte den geballten Stoff noch einmal und ließ sich das Wasser über das Gesicht fließen. In Bächen rann es ihm aus dem Bart. Dann wollte er allen Ernstes das Seifenwasser trinken. Natürlich, er musste schrecklichen Durst haben. Sie eilte in die Küche und füllte einen großen Holzbecher. Als sie zurückkehrte, hatte er die Decke fortgezogen und sich aufgesetzt. Immer noch trug er die alte Kniehose, die sich mittlerweile in Fetzen verwandelt hatte. Er trank nicht, er soff. Und kaum hatte er den Durst gelöscht, versuchte er aufzustehen.
«Um Himmels willen, leg dich wieder hin!»
Breitbeinig stand er auf den Füßen. Sein Blick war glasig. «Lass mich … hinaus.» Er wankte und setzte sich unfreiwillig aufs Bett; trotzdem versuchte er sie beiseitezuschieben, um wieder hochzukommen.
«Arturo! Du bist
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