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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Stimme war rau, als hätte er sich während seiner Zeit in der Gefangenschaft die Seele aus dem Leib geflucht. «Das hätten Sie Ángel fragen müssen. Aber nicht mich.»
    «Wer ist Ángel?», fragte Bolívar.
    Arturo griff sich an den Kopf. Blut sickerte durch seine Finger. Ihm knickten die Knie ein; zwei Männer fingen ihn auf und schleppten ihn zurück in den ruinierten Sessel. Einer der Soldaten kramte in der Verbandskiste und machte sich daran, einen Streifen – einen blauen, der von der Republikflagge stammte – um Arturos Kopf zu wickeln.
    «Der Mann gehört in die Hände eines Arztes», bemerkte Bolívar.
    In meine gehört er eigentlich , dachte Reinmar. Ich sollte ihn erledigen. Dann wäre Janna ein für alle Mal von ihren Flausen befreit .
    Allerdings musste er sich eingestehen, dass sein Manöver, sie glauben zu machen, der Halunke sei tot, nicht zur erwünschten Reaktion geführt hatte. Als sie nach La Jirara zurückgekehrt war, hatte er eine Zeitlang geglaubt, es könne so werden, wie sie beide es sich erträumt hatten. Stattdessen hatte sie ihn in der vorletzten Nacht wutschnaubend verlassen. Wegen eines kleinen Fauxpas seinerseits. Wo sie seitdem gewesen war, wusste er nicht. Heute war sie gekommen, um sich ein Pferd zu nehmen. Zu stehlen. Er würde es ihr doch schenken, wenn sie nur bereit wäre, wieder mit sich reden zu lassen! Dass ausgerechnet jetzt Arturo auftauchte, war gewiss kein Zufall. Sie wusste davon. Womöglich wartete sie nur irgendwo darauf, diesen Verbrecher in die Arme schließen zu können.
    Nein, dem würde er nicht tatenlos zusehen.
    Er wusste, wer Ángel war. Gewesen war. Ángel war tot, hingerichtet an der Mauer von Nuestra Señora de las Nieves. Um Janna zu gefallen, war Reinmar ins Gefängnis gegangen. Und vor allem, um Arturo endlich sehen zu können, den Mann, der alles verändert, der ihn sein Glück gekostet hatte. Ob er tatsächlich Hafterleichterungen für ihn erkaufen wollte, wie sie es von ihm erbeten hatte, dessen war er sich nicht so sicher gewesen; er hatte geschwankt zwischen der Pflicht seines Versprechens und seiner Wut auf diesen Unbekannten. Höchst verblüfft war er gewesen, dort zu erfahren, dass es zwei Arturos gab, gewissermaßen. Drei Piaster, eine derzeit horrende Summe, hatten den Gefängniswärter, der Dienst tat, redselig werden lassen. Was man den Brüdern vorwarf, erfuhr Reinmar indes nicht. Wohl aber, dass sie, obschon keine Zwillinge, sich aufs Haar glichen. Und dass der eine in eine Silbermine verbracht werden sollte, sobald der Krieg vorüber war, und der andere füsiliert.
    Der eine weiß vom andern gar nicht, dass er hier ist , hatte der alte bucklige Wärter in sich hineingekichert, während sich Reinmar gefragt hatte, mit welchen Zähnen er eigentlich gerade die Echtheit der Münzen prüfte. Und der andere wird nächsten Sonntag an die Wand gestellt. Nach dem Gottesdienst! Man stelle sich das vor!
    Reinmar holte seine Büchse, die er am Treppengeländer angelehnt hatte, und eilte in die Küche. Rasch nahm er die Munitionstasche aus dem Schrank, gab Schwarzpulver in den Lauf, platzierte das Schusspflaster und die Kugel und stopfte alles fest. Dann gab er Zündkraut auf die Pfanne und spannte das Schloss.
    Draußen sagte Bolívar: «Sie sind ein niederer Pardo, ein buntes Rind  – was wollen Sie aus sich machen?»
    «Das geht Sie einen Dreck an.»
    Solche despektierlichen Worte war die Lichtgestalt sicher nicht gewohnt. Reinmar ersehnte sich, diesem Halunken an Bolívars Statt eine passende Antwort zu geben. Mit einem gezielten Schuss Janna nicht nur die dummen Flausen auszutreiben. Nein, ihn vielmehr aus ihrem Gedächtnis zu tilgen …
    Wenn es doch so einfach wäre.
    Das ist es. Er wäre fort, und sie könnte mich wieder lieben.
    Er verdrängte den Gedanken, dass sein Versuch, sie glauben zu machen, Arturo sei hingerichtet, bereits missglückt war. Seine Art, um sie zu kämpfen, war nicht die eines Ehrenmannes, das begriff er wohl. Aber wenn er diesen Kampf für sich entschieden hatte, wenn alles vorbei war und alle Tränen getrocknet waren, würde sie erkennen, dass alles nur zu ihrem Wohl geschehen war.
    «Erschießen Sie Bolívar nicht, Don Reinmar!»
    Mit der Waffe in den Händen wirbelte er herum. Der Lauf erzeugte einen hässlichen dumpfen Ton, als er gegen Davids Kopf knallte. Der Blick des Jungen rollte zur Küchendecke, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Wie eine fallen gelassene Puppe sackte er auf den fettigen Steinboden.

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