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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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nichts wissen. Er hielt den Atem an.
    «Dein Vater, der Spanier, wurde nie wieder gesehen. So viel ich weiß. Und deine Mutter und Ángel … Sie leben auf einer Hazienda. Gerüchten zufolge sind sie deinem Vater gefolgt; der lebt da auch.»
    «Gehört sie ihm etwa?» War der Vater zu Geld gekommen? Unmöglich war das nicht – er musste nur den richtigen Mann ausgeraubt haben. «Wo ist sie?»
    «Am Río Mañano, am Rand einer kleinen Stadt. Sie heißt … lass mich nachdenken …»
    Arturo hoffte, es fiele ihm nicht ein. Er schalt sich einen Dummkopf, da er dennoch ersehnte, es zu erfahren.
    «El Azor.»

    Der Río Mañano war der westlichste Fluss des Orinocodeltas. Mit einem Einbaum, noch ohne seitliche Aufbauten, Mast und Segel, und einigen unfreiwilligen Umwegen, die zu berücksichtigen waren, würde Arturo mehrere Wochen benötigen, El Azor zu erreichen. Das machte nichts; er wünschte, die Reise würde ein Jahr dauern. Andererseits drängte es ihn so sehr, dass er sofort aufgebrochen war, kaum dass der Karibe zum zweiten Mal abgelegt hatte. Erst als Gaúpe hinter ihm hergerufen hatte, war ihm das Ritual wieder eingefallen. Er war nicht zurückgekehrt. Er trug Maria Lionzas Bildnis für immer auf seinem Körper – entweder es genügte, sie für sich einzunehmen, oder nicht. Und was die Zukunft betraf, war es vielleicht besser, nicht zu erfahren, ob er bald mit einem Messer im Rücken endete oder zur falschen Zeit ins Wasser und einem Krokodil oder mit langen Zähnen bewaffneten Payarafischen zum Opfer fiel. Falls man dergleichen überhaupt in den Flammen lesen konnte.
    Er verirrte sich öfter als erwartet. Ansonsten war die Fahrt nicht viel anders als seine sonstigen Streifzüge: Er hatte einige Auseinandersetzungen mit seinesgleichen, den bunten Rindern , und der ewig feindlichen Natur. Ein Insektenstich lähmte ihn einige Tage, während denen er in seinem Einbaum liegend unter Schmerzen durch fremde Wasserläufe dümpelte. Er kämpfte mit treibenden Baumstämmen, mit Regen, der sein Boot fast unter Wasser drückte, und Wind, der die Wellen aufbauschte und es mehrmals kentern ließ. All das half ihm, seine Gedanken im Zaum zu halten. Als er den Río Mañano erreicht hatte, ging es leichter und schneller. Dieser Mündungsarm war belebter als alles, was er im Delta bisher gesehen hatte. Dorf reihte sich an Dorf; überall kam er Fischkuttern und Pirogen in die Quere. An beeindruckenden Kriegsschiffen kam er vorüber, an deren Hecks Flaggen wehten, die ihm nichts sagten. Hier und da legte er an steinernen Kais an und fragte sich durch.
    Irgendwann, er glaubte, ein Monat sei vergangen, rief man ihm von einem Schiff herunter zu, dass dies der Hafen von El Azor sei.
    Dicht an dem gewaltigen Rumpf glitt sein Boot entlang. Er bewunderte die Schnitzereien rund um die schräggestellten Heckfenster, den Wald aus vollkommen gedrehtem und glattem Tauwerk, die gerefften Segel, deren Größe, wären sie erst entfaltet, erstaunlich sein musste. Er bestaunte die bunt bemalte Holzfigur einer Frau am Bug – eine ähnliche hatte in Naldos Dorf gestanden, und man hatte einige wunderliche Dinge über sie zu erzählen gewusst. Sein Einbaum nahm sich wie eine Nussschale aus, als er ihn zwischen den größeren Schiffen festmachte. An der Straße am Kai gab es eine Garküche, aus der andere Düfte strömten als die nach gekochten, gebackenen oder gerösteten Bananen. Zum ersten Mal sah Arturo, wie die Kleidung der Weißen tatsächlich beschaffen war: nicht zerrissen, nicht in der Sonne gebleicht und auch nicht bunt zusammengewürfelt.
    Eine Stadt war dies indes nicht, lediglich eine lange Reihe von Hütten und Steinhäusern. Er fragte nach einer Hazienda und dem Weg dorthin. Als er einen von Wildwuchs gesäuberten Hang hinaufstieg, sah er über den Baumwipfeln El Azor, den Habicht, thronen. Wie El Halcón, der Falke, auf einer der Inseln im Orinoco. Oder wie El Zamuro, der Geier, in Angostura.
    Er hätte ahnen müssen, dass es keine Stadt, sondern eine spanische Festung war.

    Im Schatten hoch aufragender Kokospalmen und Bananenstauden schlugen Männer, hauptsächlich Schwarze, doch auch Pardos, mit Macheten auf niedrigere Bäume ein. Arturo brauchte eine Weile, bis er erkannt hatte, dass es die kleineren Kakaobäume waren, von denen sie dicke dunkelgelbe Früchte schnitten. Gleichförmig und schweigend arbeiteten sie, und der Schweiß rann über rötliche Stellen auf der ansonsten tiefbraunen Haut. Mancher bemerkte ihn und hob

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