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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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kaum ertrug, den Bruder so zu sehen. So verletzt. Geschändet. Vergessen waren die Jahre, die sie getrennt hatten. Vorbei war seine Wut; sie war verraucht, und er hatte wieder den alten Bruder vor sich, den er damals geliebt und verehrt hatte. Er überlegte, einem Sklaven die Machete zu entwenden und sinnlos auf die Bäume dort draußen einzuhacken, bis er erschöpft und sein Kopf leer war … Er fuhr sich durch die nachlässig im Nacken gebundenen Haare. «Seit unsere Mutter mich in der Mission abgab, träume ich davon, dir zu sagen, was ich davon hielt, dass du dazu geschwiegen hattest …»
    «Und das kannst du jetzt nicht, was?» Ángel neigte sich vor und schlug ihm zielsicher auf den Schenkel. «Kannst einem Blinden nicht sagen, dass du wütend bist. Ary! Ich war viel zu erschrocken damals, um Mutter aufzuhalten. Während der Rückfahrt bettelte ich, sie solle umkehren und dich holen. Wir kamen nach Hause; Vater war wieder einmal da, und dem war es sowieso egal. Ich wollte zu dir, aber ich wusste, ich würde den Weg nie finden. Gott allein weiß, wie Mutter ihn gefunden hatte. Es war eine weite Reise, entsinnst du dich?»
    «Deine Erinnerungen sind besser als meine, fürchte ich. Du bist der Ältere.»
    Ángel lehnte sich wieder zurück. «Weißt du, wovon ich träumte? Später? Hier?»
    «Dass ich an deiner Statt hier bin?»
    Wieder lachte Ángel auf. «Gelegentlich. Nein, ich träumte, dass du herkämst, alles hier niederbrennst und mich und alle befreist. Dass es hier ein zweites Haiti gibt. Dort haben sich die Sklaven erhoben und zu Herren gemacht. Hast du nie daran gedacht, dich Bolívar anzuschließen?»
    Nach allem, was Arturo über diesen Befreiungskrieg wusste, hörte es sich nicht so an, als käme mit einem Sieg Bolívars schlagartig das Ende der Sklaverei. Wie sollte das auch gehen? Haiti war eine Insel. Dies hier war ein Kontinent. Aber im Grunde interessierte ihn das alles nicht. «Nein, habe ich nicht. Ich will meine Ruhe.»
    «Ruhe! Im Delta zwischen Seekühen und Wasserpflanzen!»
    Es war nicht seine Absicht, dort sein Leben auch zu beschließen. Doch von seinen Gedanken, irgendwann nach Eldorado aufzubrechen, sagte er nichts. Ángel lachte für seinen Geschmack schon zu häufig.
    Doch Ángel war ernst. «Du bist mein Bruder. Mein Bruder, von dem ich glaubte, er wäre mir für immer verloren. Ich wollte mich nach meiner erfolgreichen Flucht Bolívars Befreiungsarmee anschließen. Du siehst ja – jetzt ist es damit vorbei, selbst wenn ich frei wäre! Tu du es für mich.»
    Arturo konnte sich lebhaft vorstellen, wie die Augen unter der Binde leidenschaftlich flackerten, gäbe es sie noch. Eine Spannung hatte Ángels sehnigen Körper erfasst. Zerfahren wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund. Er kam auf den Knien näher und ertastete Arturos Schulter. Arturo staunte erneut, wie sicher Ángel seine Umgebung wahrnahm, und er dachte, dass er in dieser Armee womöglich nicht schlechter als andere Soldaten schießen würde.
    «Ary …» Die Finger bohrten sich in seine Schulter. Es war ein gequälter Laut. Arturo wusste nicht recht, wie ihm geschah; mit einem Mal hielt er den Bruder in den Armen und drückte einen Körper, stark wie lebendiges Metall, an sich. Ein Laut der Verzweiflung drang an sein Ohr. Er selbst verspürte einen ihm sonst fremden Druck hinter den Augen. Als Kind, ja, da hatte er geweint. Als er einsam und verlassen die ersten Nächte in der Mission durchgestanden hatte. Seitdem nie mehr. Nicht bei den härtesten Schlägen. Verdammt, Tränen waren lästig. Mit der freien Hand wischte er sie weg.
    «Nein», presste er hervor. Er zog es vor, sich irgendwann ein besseres Leben zu erkaufen, statt es sich zu erkämpfen. Er kämpfte schon lange genug. «Verzeih mir. Aber – nein. Ich tue es nicht.»
    Behutsam löste er den Bruder von sich, und der nickte langsam. «Ich wusste, dass ich es nicht von dir verlangen kann.»
    «Das nicht. Aber ich kann etwas anderes tun. Ich werde Don Valero für dich töten.»

    «Morgen ist Sonntag, da geht er jagen. Gewöhnlich hat er zwei Leibwächter bei sich – sind die für dich ein Problem? Du könntest aber auch ein Gewehr stehlen und ihn von seiner Veranda herunterschießen. Dort frühstückt er immer. Zum Gottesdienst geht er nie. Ich wette, bei ihm am Tisch sitzt der böse Geist des Krokodils oder der Teufel höchstpersönlich.»
    Arturo dachte an die Armbrust, wohlverwahrt in seinem Einbaum. Nein, er würde den Kakao nicht

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