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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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seinem Speiseplan. Gott, wie albern das klang, wenn man darüber nachdachte. Wahrscheinlicher war, dass er es einmal aus Not getan hatte. Wie manche der Konquistadoren, als sie sich in unwirtlichsten Gegenden verirrt hatten.
    Sie musste sich eingestehen, dass es nicht unangenehm war, ihm bei seinen Tätigkeiten zuzusehen. Er bewegte sich geschickt, geschmeidig; jede seiner Bewegungen verriet, dass er genau wusste, was er tat. Als Nächstes nahm er sich ein Seil vor, das er auf Beschädigungen prüfte. Ab und zu griff er beiläufig an die Ruderpinne, fast ohne hinzusehen, um den Kurs zu korrigieren. Aber das Segel – es war doch gar nicht gesetzt?
    Janna fuhr so schnell auf, dass ihr schwindelte. Pizarro wieselte von ihr herunter.
    «Wir treiben ja ab!»
    Sein Blick war sofort finster. «Nein.»
    «Nein? Wieso nein? Die Strömung bringt uns ans Meer zurück!»
    Hart stieß er den Atem aus. «Dieser Weg macht eine Biegung in westliche Richtung.»
    Janna sah sich um. Woanders wäre dieser Wasserlauf ein Fluss gewesen, doch hier in den unermesslichen Weiten des Orinocodeltas kam er ihr schmal wie ein Bach vor. Palmen warfen Schatten auf helle Sandstrände. So nah am Land war der Geruch wieder modrig, und treibende Zweige kratzten am Boot. Ein längliches Stück verwittertes Holz, das halb im Sand vergraben lag, weckte ihre Aufmerksamkeit. Es bewegte sich. Es war … Sie zuckte zurück.
    «Das Krokodil tut uns nichts», sagte Arturo, ohne genauer hinzusehen. Wenigstens lenkte er das Boot jetzt aufmerksamer, doch das lag wohl eher an treibenden Ästen. Die Ufer rückten näher zusammen. Nun erst sah Janna, wie groß die Palmen, Moriche hatte er sie genannt, tatsächlich waren. Die fächerförmigen Blätter mit Hunderten langer spitzer Finger waren mehr als zehn Fuß breit. Manchmal bebten sie, und das kam nicht vom Wind. Affen schnatterten empört, als das Boot an ihnen vorüber in einen anderen Wasserweg glitt.
    «Sind Sie sicher, dass Sie sich hier zurechtfinden?»
    Und konnte es Reinmar? Oder die anderen, die hoffentlich mit ihm im Beiboot waren? Wenn nur auch Kapitän Vesterbrock gerettet war; er würde am ehesten wissen, wie man sich am Stand der Gestirne orientierte. Aber es war sehr unwahrscheinlich, dass die Pinasse genau denselben Weg genommen hatte. Das Delta war ein riesiges Labyrinth.
    Der Drachenherr wies zur Antwort mit dem Kinn voraus.
    Und wieder stand Janna der Mund offen. Was da zwischen den Bäumen zu sehen war, war ganz eindeutig ein Kirchturm.

    Sie raffte ihr Kleid und stieg aus dem Boot. Dies war eine Mission. Und das bedeutete: Zivilisation! Ihr war danach, den Boden zu küssen. Endlich anständige Leute, und dann auch noch freundliche Männer Gottes. Rasch versuchte sie ihre strähnigen Haare zu ordnen und das zerknitterte Kleid halbwegs zu glätten. Dann schnappte sie ihr Köfferchen und lief los.
    «Mädchen, warte!»
    Wenn der Drachenherr tatsächlich glaubte, dass sie sich jetzt noch von ihm gängeln ließ, so hatte er sich geschnitten. Sie hielt auf einige morsch aussehende Bretter zu, die im Erdreich der Böschung als Treppe dienten.
    «Bleib stehen, habe ich gesagt.» Sein Knurren dicht an ihrem Ohr erinnerte an ein Raubtier. Grob drehte er sie an der Schulter herum. «Du tust, was ich dir sage, Mädchen!»
    Schwarze Augen unter ebenso schwarzen Brauen funkelten böse. Janna reckte das Kinn.
    «Wehe!», rief sie. «Wehe, Sie werfen mich jetzt wieder ins …»
    Seine Hand schoss vor und legte sich auf ihren Mund. So fest gruben sich seine Finger in ihre Wangen, dass sie glaubte, ihre Kiefer würden unter dem Druck brechen. Vergebens versuchte sie seinen Arm fortzuschieben; unter den Nägeln spürte sie nichts als rohe Kraft. Der Zeigefinger seiner Linken schwebte warnend vor ihren Augen. Dann legte er ihn an seine Lippen.
    Langsam löste er den Druck. Janna wagte keinen Mucks mehr. Tränen drohten sich zu lösen; mit aller Macht zwang sie sie zurück.
    «Fällt dir denn nicht auf, dass es völlig still ist?», knurrte er, dann schob er sich an ihr vorbei und stieg die Treppe hinauf. Die Hand lag um den Säbelgriff an seiner Seite.
    Was sollte denn dieses Getue, nur weil es ruhig war? Es war schließlich Nachmittag. Da hielt man in heißen Ländern ein Nickerchen. Siesta hieß das.
    Sie raffte den Koffer auf, den sie vor Schreck fallen gelassen hatte, und eilte die Böschung hinauf. Der Weg wurde eben und schlängelte sich zwischen dichtem Unterholz hindurch. Fast hätte sie Arturo aus den

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