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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Augen verloren. Sie duckte sich unter dem abgeknickten Blatt einer Bananenstaude hinweg und fand sich auf einem Dorfplatz wieder. Fünf Fachwerkhäuschen und eine kleine Kirche umstanden im Halbkreis einen Ziehbrunnen. Jedes besaß ein ordentlich angelegtes und umzäuntes Vorgärtchen. Neben den Eingängen luden Bänke zum Verweilen ein. Von den tiefen Dächern abgesehen, die aus den riesigen Moricheblättern gefertigt waren, wirkte die Szenerie auf putzige Art vertraut. Wäre da nicht im Hintergrund eine Ansammlung gewöhnlicher Hütten und Unterstände gewesen, wie jene bei den Warao, und die sich in den Himmel reckenden Blätter einer Bananenplantage. Und die farbenprächtigen Aras, die sich einen Spaß daraus machten, mit Krallen und Schnäbeln im steilen, ebenso aus Blattwerk gefertigten Kirchturm herumzuklettern.
    Auch von Missionen hatte der Baron erzählt. Christliche Missionare waren den Konquistadoren gefolgt, um das Wort Gottes zu verbreiten und den Einheimischen die spanische Kultur beizubringen. Was mehr oder weniger schlecht gelungen war. Viele Indios waren wieder gegangen oder geflohen. Reinmar war nicht hier, andernfalls würde Janna bereits in seinen Armen liegen. Er war wieder weitergefahren, falls er je hier gewesen war. Aber das würde sie sofort in Erfahrung bringen. Sie lief zum ersten der Häuschen. Ein rascher Blick über die Schulter: Arturo war beschäftigt; er betrat soeben mit halb gezogenem Säbel eines der anderen.
    Unter Jannas klopfender Hand schwang die Haustür nach innen auf.
    Das Erste, was sie sah, waren zwei haarige Füße in Sandalen. Ein braunes Ordensgewand. Der Mönch lag auf dem Boden.
    Ein Mann schritt über ihn hinweg und griff nach ihr.
    Arturo! , wollte sie schreien.
    Sie brachte es nicht über sich, seinen Namen zu rufen. So blieb ihr nichts, als in ein kaltes, von zotteligen Haaren und einem wuchernden Bart umringtes Augenpaar zu blicken. Ein Messer blitzte dicht vor ihrem Gesicht auf. Was dann kam, begriff sie nicht: Arturo war plötzlich da – hatte sie doch nach ihm geschrien? – und ging mit der Hand dazwischen. Janna bekam einen Stoß und flog rücklings zu Boden. Strampelnd rollte sie herum, sprang hoch, hörte das hässliche Reißen des Kleides unter ihren Schritten und rannte. Hinter dem Brunnen wagte sie sich umzuwenden.
    Der Angreifer, irgendein zerlumpter Strolch, lag in einem Kräuterbeet.
    Zwei andere stürmten aus dem Haus. Brüllend und Macheten schwingend, stürzten sie sich auf Arturo. Janna presste die Augen zusammen. Ganz deutlich war zu hören, wie die Klingen in Fleisch schnitten.
    Sie presste die Hand an den Mund und würgte. Eine leise Stimme riet ihr, in die Plantage zu flüchten. Doch ihre Knie waren wie aus Wasser.
    «Mädchen, du kannst aufstehen.»
    Ungläubig öffnete sie die Augen. Auf seinem Säbel glänzte Blut. Die Männer lagen übereinander und rührten sich nicht mehr.
    Mit der freien Hand zerrte er sie hoch und stieß sie in die Kirche.
    «Bleib hier, bis ich mich umgesehen habe», befahl er so leise wie bedrohlich, und sie nickte. Sie flüchtete zwischen Sitzbänken hindurch zum Altar aus grobgefertigten Ziegelsteinen und kauerte sich davor nieder. Lieber Herrgott, nimmt das Elend denn gar kein Ende? , warf sie der hölzernen Christusfigur an ihrem Kreuz vor. Ein ohrenbetäubendes Kreischen ließ sie zusammenfahren. Ein Ara empörte sich über ihr Eindringen. Der sonderbare Anblick eines tänzelnden Papageis auf dem Querbalken des Kreuzes half ihr, den Schrecken zu verdauen. Sie richtete sich auf. Das Innere des Kirchleins ließ die sonst übliche Pracht katholischer Andachtsräume vermissen, was der kargen Gegend geschuldet war. Trotzdem standen auf Wandpodesten allerlei Heiligenfigürchen, mehr oder minder geschickt aus edlen Tropenhölzern geschnitzt. Janna hockte sich auf eine Bank und knetete ihren gerissenen Kleidsaum. Ab und zu sah sie den Drachenherrn draußen herumlaufen.
    Unwillkürlich pochte ihr Herz, als seine Gestalt den Eingang verdunkelte. So musste sich eine Indiofrau gefühlt haben, wenn plötzlich ein Konquistador mit gesenktem Säbel in ihrem Haus stand.
    «Ist die Luft rein?», fragte sie.
    «Die Luft ist wie immer.» Er winkte sie hinaus.
    Janna zählte sieben Mönchsleichen, die er nebeneinandergelegt hatte. Ihre Gesichter waren von den Kapuzen bedeckt; andernfalls hätte sie diesen Anblick nicht ertragen. Sowieso war das alles vollkommen unwirklich – sie hatte sich doch eben noch im Paradies am Ende

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