An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
nicht so gut wie die Indios.»
«Das – das sind doch nur Ausreden», empörte sie sich. «Sie hatten nie die Absicht, Angostura anzufahren!»
Er fuhr sich über die streng im Nacken gebundenen Haare und stöhnte ungeduldig. Plötzlich zeigte er seine hellen, kräftigen Zähne. Es war ein boshaftes Lächeln. «Du hast recht, Mädchen. Ich habe dich nicht nach Angostura gebracht, weil du mich dann wegen Diebstahls hättest verfolgen lassen. Habe ich nicht recht? Und jetzt lass uns weiterfahren. Steig ins Boot.»
Er nickte zu seiner Piroge, die am Ende der Plattform festgemacht war.
«Ich kann nicht», sagte sie mit bebenden Lippen.
«Warum nicht?»
Sah dieser Unmensch das denn nicht? Ihr war nach Heulen zumute. Anschaulich kämpfte sie mit dem Stoff. Endlich begriff er. Er kauerte sich hinter sie und begann das Kleid zuzuschnüren. Es war ihr schrecklich zuwider, von ihm berührt zu werden, noch dazu auf eine solche Art.
«Wer …»
«Ja, ich habe dein Kleid geöffnet!», fauchte er. «Die Indios halten es nämlich für unsinnig, sich zu bedecken, und der Heilung nicht zuträglich. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätte ich dich vollständig ausgezogen.»
Sie biss die Zähne zusammen. Keine Träne würde ihr entschlüpfen. Keine! Diese Blöße würde sie sich nicht auch noch geben. Ihr Oberkörper ruckte hin und her, so fest zog er die Schnüre stramm.
«Warum sind Sie so wütend?», schrie sie.
Die Frage fachte seine Wut nur mehr an. Statt einer Antwort riss er sie hoch und stieß sie in Richtung des Bootes. Sie stolperte. Er packte sie wie einen Sack und warf sie wie einen solchen hinein. Warum hatte er ihr geholfen, wenn er sie am liebsten gleich danach umbrächte? Ihr Kopf begann wieder zu hämmern, und die Übelkeit kehrte zurück. Aber eher hätte sie sich die Zunge abgebissen, als ihm das zu sagen. Sie kauerte sich auf ihrem Platz am Bug zusammen. Pizarro kam angekrochen und bettelte, als sei sie schon eine alte Freundin. Sie schubste ihn mit der Schuhspitze fort.
Arturo löste das Tau, setzte das Segel und fierte es auf, denn der Wind kam von achtern. Mit einem Ruck schoss die Piroge vorwärts. Wie jeden Tag brannte die Sonne auf der Haut; Janna zog sich das Ersatzsegel über den Kopf und kauerte sich zusammen. Keinesfalls wollte sie in seine Nähe unter das Dach. Ihre Gedanken kreisten. Was hatte das Fieber ausgelöst? Eine Mücke oder irgendein anderes Getier? Böse Miasmen? Bestimmt war sie krank geworden, weil er sie einmal zu oft durchs Wasser gezogen hatte.
Hätte sie nur nicht gesagt, dass er seinen Diebstahl bereuen würde! Doch so sehr sie sich den Kopf zermarterte, sie begriff nicht, weshalb er sie nicht einfach an dem Fieber hatte sterben lassen oder ertränkte.
Nein, es gab durchaus einen Grund, weshalb er sie noch am Leben lassen wollte. Er wollte sie als Sicherheit behalten, falls die Suche nach dem Gold misslang, und dann ein Lösegeld für sie fordern – dass sie aus einem wohlhabenden Haus stammte, wusste er ja. Das erklärte auch, weshalb er sich die Mühe gemacht hatte, sie in die fürsorglichen Hände dieses Indianerstamms zu geben. Und diese Wilden hatten von seiner wahren Absicht natürlich nichts geahnt!
Sie sah sich schon in einem Käfig tief im Urwald, wehrlos einem Heer von Insekten ausgesetzt, das über sie herfiel und sie bis aufs Gerippe abnagte. Mehr noch quälte sie der Gedanke, sich mit jeder Minute wieder von Reinmar zu entfernen. Sie stopfte sich das schwere Tuch zwischen die Zähne, um nicht zu schreien und zu heulen und vor Entsetzen um sich zu schlagen. Nicht dass der Drachenherr doch noch auf den Gedanken kam, dass es besser war, sie zu ersäufen. Oder wenigstens zu fesseln.
Sie gab sich friedlich. Sie rang sich sogar ein Lächeln ab, als er ihr eine Schale mit gebratenem Fisch gab, den er am Tag gefangen hatte. Seine Frage, wie es ihr gehe, beantwortete sie höflich mit «Gut». Er sollte glauben, dass sie sich in ihr Schicksal ergab. Oder besser noch, dass sie gar nicht recht begriff, was er plante. Wie in jeder Nacht band er für sie eine Hängematte knapp über dem Erdboden fest, in die sie sich wie in einen Kokon einhüllen konnte, oder warf das Moskitonetz über einige Äste. Er schürte ein Feuer, das wilde Tiere abhielt, und legte sich jenseits davon schlafen, die Hand am Säbel.
So dumm, in der Nacht flüchten zu wollen, war Janna nicht. Sie würde sich nur verirren. Aber flüchten würde sie. Als sie nach Einbruch der Dunkelheit ein
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