An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
wartete er, bis das Boot ruhig lag. Janna entdeckte einen auffälligen Vogel im Geäst, mit rötlich-braunen Schwingen und einer stacheligen Haube auf dem Kopf.
«Was ist …»
Die Nadel stach in ihre Haut. «Die Indios nennen ihn Hoatzin.»
Janna keuchte. «Und … und was heißt das?»
Tapsig schob sich der Vogel näher, um die Störenfriede in Augenschein zu nehmen, und gab dabei grunzende Laute von sich. Ein übler Geruch stach in Jannas Nase.
«Stinkvogel», antwortete Arturo.
Die Schlange war wieder da und kroch den Ast hinauf. Statt zu flüchten, hopste der Vogel auf sie zu und kehrte ihr den Schwanz zu. Als wolle er sagen: V or dir hab ich keine Angst . Unbeirrt kam sie näher. Plötzlich ließ er sich ins Wasser plumpsen und schwamm davon.
«Fertig.»
«Oh.» Sie zählte fünf Stiche. Hatte der interessante Vogel sie so gut abgelenkt? Oder war Arturo so sanft vorgegangen? Er holte einen Baumwollstreifen aus dem Beutel und wand ihn behutsam um ihren Arm.
«Sie können auch anders sein, nicht wahr?» Sie betrachtete sein Gesicht, das ihr ungewöhnlich entspannt erschien. Fast friedlich.
«Ich bin, wie ich bin, Mädchen.»
«Und Sie sind verletzt.»
Er warf einen flüchtigen Blick auf seine Arme. «Das sind nur Kratzer.»
«Die haben Sie sich auch redlich verdient.»
Täuschte sie sich, oder sah sie tatsächlich die Ahnung eines Lächelns auf seinen Lippen? Sein Mund lud zum Hinsehen ein, das musste sie zugeben. Es war ein vollendet gezeichneter Mund. Noch immer lag ihr Unterarm auf seinen Schenkeln, und seine linke Hand hielt ihr Gelenk. Janna schluckte. Wenn sie den Arm erst jetzt zurückzog, müsste er dann nicht glauben, sie hätte die Berührung genossen? Also war sie gezwungen, so zu tun, als hätte sie es vergessen. Aber das war ja dumm. Sie riss sich mit einem Ruck los und verschränkte die Arme, den Schmerz missachtend.
«Hör zu, Mädchen: Es war nicht meine Absicht, dich auf diese Reise mitzunehmen. Aber ich wusste nicht, dass sie mir bevorsteht, als ich dich leider vom Strand auflas …»
«Leider, ja!»
«Und jetzt habe ich dich am Hals.»
«Sie könnten mich einfach gehen lassen.»
«Du weißt, warum ich das nicht kann: Du wirst mich ans Messer liefern. Ich werde dir einen kleinen Teil des Goldes geben. Als Entschädigung. Im Gegenzug wirst du mir versprechen, danach zu vergessen, dass es mich gibt.»
Das waren ja ganz neue Töne. Aber irgendetwas an dieser Sache erschien ihr faul. Und das nicht etwa, weil sie seinem Wort nicht traute. Du wirst mich ans Messer liefern … Wegen des gestohlenen Schmucks und weil er sie aufs gröbste gepiesackt hatte und es sicherlich noch tun würde? Nein, das klang nach etwas anderem. Etwas Schlimmerem.
Sie hatte vergessen, dass man ihn den Kannibalen nannte. Jetzt fiel es ihr wieder ein.
«Gib mir dein Wort», verlangte er.
«Sie haben es.»
Er löste das Tau; der Bug drehte sich in den Wind. Dann zog er das Segel hoch und fierte es auf. Geschmeidig glitt die Maria Lionza über die Wellen. Am liebsten hätte Janna gesagt: Töten Sie mich doch, dann sind Sie dieses Problems ledig . Aber das brachte sie nicht über die Lippen, aus Furcht, dass er sagte: Gute Idee .
7. Kapitel
Die meisten jener besessenen Abenteurer des sechzehnten Jahrhunderts waren umgekommen, die wenigsten mit Gold zurückgekehrt. Und von diesem war nur ein Bruchteil in die Alte Welt gelangt. Das wusste Janna von einem Abendessen im Kapitänssalon der Seuten Deern , als sich Pastor Jensen und Kapitän Vesterbrock darüber unterhalten hatten. Die beiden hatten leidenschaftlich über die Zahl der Goldschiffe spekuliert, die in Stürmen untergegangen oder von Piraten und englischen Freibeutern aufgebracht worden waren.
Die Gier hatte damit begonnen, dass die Eingeborenen der Westindischen Inseln Christoph Kolumbus die Geschichte von einer goldenen Insel hinter dem Horizont aufgetischt hatten, nur um ihn loszuwerden, und sollte also vorläufig mit einem starrsinnigen, ungehobelten, räuberischen Pirogenbesitzer ein Ende finden.
Janna war sich bewusst, dass sie wie jede junge Dame aus gutem Haus wenig von Männern verstand. Trotzdem würde sie keinen Taler und keinen Piaster darauf verwetten, dass Arturo später zu den wenigen zählte, denen das eroberte Gold Glück brachte.
Er fuhr mit prallem Segel, und wenn der Wind von vorne kam, kreuzte er davor im Zickzackkurs. Die indianischen Palafitos ließ er links liegen, und auch um gelegentlich auftauchende Dörfer mit
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