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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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sich wieder auf. «Davon schreibt er nichts. Auf dem Schatz türmt sich ja auch eine Schicht von Tonscherben. Er ist danach weitergegangen und in einem großen Bogen hierher zurückgekehrt.»
    Warum geriet er nicht in Rage? Sie hatte geglaubt, er würde toben. Eine Axt holen und seine Hütte zerlegen. Er stand da, die Arme in die Seiten gestützt, eine steile Falte zwischen den geschwungenen Brauen, und starrte ins Leere.
    Janna stürzte auf ihn zu und schlug in sein Gesicht. So schnell, so zornig, dass er ihr Handgelenk nicht mehr zu fassen bekam. Ein roter Streifen erschien auf seiner Wange. Langsam, als könne er nicht begreifen, was eben passiert war, betastete er die schmerzende Stelle. Hast du es immer noch nicht verstanden? , wollte sie schreien. Mit den Fäusten schlug sie so fest auf seine Brust ein, wie sie konnte.
    «Du hast mich in die tiefste Wildnis gezwungen!», schrie sie. Nein, sie brüllte. «Monate, Monate! Und wofür?»
    Ihre Fingerknöchel streiften sein Kinn. Ihr nächster Schlag traf erneut seine Wange. Er wandte den Kopf nicht ab.
    «Janna!»
    Gleich würde er sie schlagen. Sollte er. Sollte er doch! Dieser Dieb, Entführer, Gewalttäter, er konnte jetzt nicht so tun, als mache ihm das alles nichts aus!
    «Janna …» Er krallte eine Hand in ihr Haar. Legte einen Arm um sie und zog sie an sich. So zwang er sie, stillzuhalten. Sie japste erschrocken. Aber es half; die Wut ebbte ab. Wie hatte sie nur jegliche Selbstbeherrschung verlieren können? Das Leben in der Wildnis hatte sie stärker verändert, als sie gedacht hatte. Ihre Finger glitten über seine nackte Haut, die nach erdigem Wasser roch und ein wenig nach Schweiß. Sie wollte sich von ihm wegdrücken. Aber sie besaß keine Kraft und keinen Willen mehr. Sie spürte seine Brandnarben und das kräftige schlagende Herz. Den Druck seiner Finger auf dem Hinterkopf, den warmen Atem auf ihrem Gesicht. Sie wollte, sie musste diesen großen kraftstrotzenden Körper umfassen. Mit aller Kraft umschlang sie ihn.
    «Ich … ich hätte das Gold so gerne gesehen», flüsterte sie.
    Die Tränen liefen weiter, doch still. Sie wartete, dass er sie von sich schob. Doch er zog sie noch fester an sich, sodass sie kaum noch Luft zum Atmen hatte.
    «Das wirst du», sagte er ebenso leise.
    «Wie denn?»
    Jetzt löste er sich von ihr und sorgte für Abstand. Aber nur, um ihr Gesicht mit beiden Händen zu umfassen und ihr tief in die Augen zu blicken. «Ich weiß nicht, was Bogenminuten sind und all das andere Zeug. Aber ich weiß, in welcher Richtung diese Höhle liegt, und ich habe einen Kompass. Morgen brechen wir auf.»
    Einen Kompass! Fast hätte sie aufgelacht. So verrückt konnte er doch nicht sein? Und noch immer wusste sie nicht, was er sich erhoffte von diesem Gold.

12. Kapitel
    Es wurde Zeit. Janna strich ein letztes Mal über ihre Hängematte, in der sie fast vier Monate geschlafen hatte. Dann nahm sie ihr Bündel auf. Es enthielt wenig: ihre alte Kleidung und Humboldts Notiz, die sie sich von Frater Sebastián erbeten hatte – mit schlechtem Gewissen, da sie nicht gesagt hatte, wofür sie sie benötigte. Sie klemmte sich das Säckchen unter den Arm und machte noch eine letzte Runde durch das Dorf. Es war beschlossene Sache: Egal, ob sie den Schatz fänden oder nicht, in das Dorf würden sie nicht zurückkehren.
    Es lag verlassen da, denn alle hatten sich bereits unten an der Bootslände versammelt, um sie zu verabschieden. Janna schlenderte durch die schmalen Gassen. Jede Einzelheit wollte sie mit sich nehmen: die grobbehauene Steinkirche mit ihrer Glockenmauer, den Dorfplatz mit den Kochstellen, wo sie alle beieinandergesessen und gearbeitet hatten; die flatternden Farbflecke der Aras in den Bäumen ringsum, das Rauschen der Kronen, wenn der Wind hindurchfuhr, den süßen Duft der gebratenen Bananen und den schweren erdigen des Flusses, der über allem lag.
    Diese Monate sind mir wie ein Berg erschienen, den ich erklimmen musste. Und jetzt, da ich mich an den Abstieg mache, muss ich feststellen: Es wehte ein rauer Wind da oben, und es war anstrengend und gefährlich und … und es war schön .
    Die Tür des Haupthauses ging auf; Frater Sebastián kam heraus. «Ah, Señorita Sievers, Sie sind ja noch hier», sagte er. «Ich wollte gerade hinuntergehen und dachte schon, ich wäre der Letzte, der zu Ihrem Abschied aufmarschiert.»
    «Das macht ja nichts, Señor Reverendo. Nach so langer Zeit kommt es nicht darauf an, ob ich ein paar Minuten

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