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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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der Stelle gelangen, an der wir mit Hilfe der Flut durchs Delta segeln. Und dann noch etwa zweihundert Seemeilen auf dem Fluss; hoffen wir auf kräftige Winde. Wir müssen uns einem Wilden anvertrauen, aber Vesterbrock sagt, dass es bisher immer gutgegangen ist. Mein Alter, hast du das verstanden?»
    Auch Janna strich behutsam über die zarten Nüstern. Das stille Leiden des Pferdes schnitt ihr ins Herz. «Pizarro wird sich wieder erholen. Bald wird er über herrliche Weiden und Savannen galoppieren, wie er sie sich noch gar nicht vorstellen kann, und die Überfahrt vergessen.»
    «Pferde haben ein gutes Gedächtnis. Ich weiß auch noch, dass Sie mir für nachher ein Geschenk versprochen haben. Und jetzt ist nachher.»
    «Oh. In all der Aufregung habe ich vergessen, es aus der Kabine zu holen.»
    «Aber nein, das Geschenk ist ja in persona hier, ich halte es gerade fest. Möchten Sie es vollkommen machen?»
    «Wie?»
    Statt einer Antwort neigte er leicht den Kopf. Janna hielt ihn auf, indem sie einen Finger auf seine leicht geöffneten Lippen legte.
    «Hier? Das ist doch Tünkram.»
    Als er enttäuscht eine seiner wilden Strähnen aus dem Gesicht blies, lachte sie auf. In seinem dunkelblauen Rock, dem blütenweißen Hemd mit dem überaus hohen Stehkragen und der seidenen türkischen Krawatte sah er aus wie ein Dandy, jene reichen Lebemänner, die den lieben langen Tag nichts anderes taten, als sich um den perfekten Sitz ihrer Garderobe zu kümmern. Nur dass Reinmar dazu kniehohe Stiefel trug, deren schmucke, wenngleich an Bord äußerst nutzlose Sporen andeuteten, womit er sich tatsächlich beschäftigte. Ein Mann der Tat und zugleich elegant – dies erschien Janna als der Inbegriff männlicher Vollkommenheit. Und tief im Bauch des Schiffes zu sein, so viele schreckliche Gerüche in der Nase und aufregende Geräusche im Ohr, dazu ein fremdartiges Ziel vor Augen, und das alles an seiner Seite – war das nicht der Inbegriff des Abenteuers?
    «Also gut. Sie dürfen mich küssen.»
    Seine Finger spielten mit einer ihrer hellen Schläfenlocken. Plötzlich legte er die Hand auf die Haarschnecke auf ihrem Kopf, sodass sie sich nicht rühren konnte, und berührte mit seinen Lippen die ihren. Das tat er nicht zum ersten Mal, doch immer wussten ihre Hände nicht, wohin mit sich. Als sie erstmalig seine Zungenspitze an ihrer spürte, war das ähnlich wie an Deck, wenn sie bei stärkerem Wellengang die Augen schloss und den Schwankungen des Schiffes nachsann. Dann meinte sie eine Handbreit über dem Boden zu schweben. So auch jetzt. Seine andere Hand gab ihr im Rücken Halt.
    Sie hörte es knarren und das Pferd ängstlich wiehern. Ihr Magen hob sich. Aber das lag nicht an dem Kuss! Die Taue spannten sich um knirschende Kisten. Irgendwo polterte etwas, und oben trampelten zahllose Füße über das Hauptdeck.
    Reinmar räusperte sich. «Scheint so, als würde es etwas windig werden. Ich bringe Sie doch besser in Ihre Kabine.»
    «Dann kann ich Ihnen auch Ihr Aguinaldo geben. Also das richtige.»
    «Nein», sagte er, sie noch einmal rasch auf die Schläfe küssend. «Geben Sie mir Ihr Geschenk, wenn wir angekommen sind.»
    Er sagte es, als könne noch irgendetwas passieren.

2. Kapitel
    Janna war die Kojenschaukelei allmählich leid. Ebenso den säuerlichen Gestank aus dem Eimer, den Frau Wellhorn füllte. Nicht wie sonst machte Janna das Rollen in das vor die Koje gespannte Tuch müde. Übel war ihr nicht; es lag an ihren kreisenden Gedanken. Das neue Leben in Angostura war ein Traum. Doch die Nähe der Küste, die vibrierenden Körper der fremdartigen Menschen hatten sie mit Schärfe daran gemahnt, dass sich der Traum bald in Wirklichkeit verwandeln würde, der es sich zu stellen galt. Aber andere Frauen hatten es ja auch geschafft! Wie etwa die des Augsburger Welsergeschlechtes, das Venezuela zu Zeiten Kaiser Karls des Fünften als Lehen bekommen hatte. Im Geschichtsunterricht ihres Privatlehrers war zwar nur von Männern die Rede gewesen, aber sie hatten ja sicher nicht ohne ihre Frauen in dem fremden Land gesiedelt. Und als Konquistadoren hatten die Welser das sagenhafte Goldland Eldorado gesucht. Waren sie nicht sogar gestorben dabei, getötet von Indios? Janna überlegte, ob sie in ihrem dicken Konversationslexikon stöbern sollte.
    «Ich halte das nicht mehr aus», stöhnte Frau Wellhorn. «Mir ist so schlecht, bei Gott!»
    Janna schob das Leetuch ein Stück beiseite. Im schwachen Schein der schwankenden Laterne konnte

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