An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
leicht, sich in das Haus zu verlieben. La Jirara hieß die Hazienda, hatte ihr Reinmar bei ihrem gemeinsamen Rundgang erzählt. Jirara war eine Indiofrau gewesen, die einen Siedler geheiratet und mit ihm hier in einer Hütte gelebt hatte, die es längst nicht mehr gab. Vielleicht hatte es auch Jirara nie gegeben. Aber es war ein schöner Name für ein schönes Haus. Doch nichts liebte Janna so sehr wie den Patio.
Wenn sie im Innenhof auf einem der Korbsessel saß und die purpurfarbenen Blütenketten des Amarants betrachtete, die sechs Fuß hohen Sonnenblumen, die einzelne Bananenstaude, die Rosen oder die Manioksträucher, die hier als Zierpflanzen dienten, so meinte sie einen Hauch von Wildnis um sich zu haben. Gelegentlich schloss sie die Augen, lauschte dem Summen der Bienen und Mücken, dem Krächzen der fruchtig gelben Sonnensittiche in ihrer Voliere und schalt sich für die Torheit, sich für einige Herzschläge in eine Zeit zurückzuversetzen, von der sie damals gewollt hatte, dass sie endete.
Lucila kam mit einem Tablett und deckte den Frühstückstisch. «Don Reinmar lässt sich um eine halbe Stunde entschuldigen», sagte das Mädchen mit piepsiger Stimme. «Die Wäscherin wird jeden Augenblick sein Lieblingshemd bringen, soll ich ausrichten, Doña Janna.»
An diese Art der Anrede würde sich Janna erst gewöhnen müssen. Sie war doch nicht die Hausherrin einer bedeutenden Familie! Aber sie wusste, dass Reinmar diese gespreizte Anrede gefiel. Auch dass er lieber zu spät kam, statt ein anderes Hemd anzuziehen, passte zu ihrem Verlobten. Aber deshalb war er ja ein Beau. Und deshalb hatte sie sich in ihn verliebt. Sie vertrieb sich die Wartezeit mit warmem gesüßten Kakao. Endlich kam er, die Haare wie üblich hübsch zerzaust, gestiefelt und gespornt und in tadellos sitzender Kleidung. Und bewaffnet.
«Buenos días, meine Liebe.» Er verneigte sich formvollendet und hob ihre Hand zum Kuss.
«Moin moin, Reinmar.» Sie starrte auf seine Hüfte. Allen Ernstes hatte er sich mit einem Galanteriedegen geschmückt. Das fand sie nun doch etwas übertrieben. Was vielleicht daran lag, dass diese kurze und über und über verzierte Waffe den Vergleich mit Arturos Offizierssäbel, an dem sogar Blut geklebt hatte, nicht standhielt.
Reinmar ließ sich auf der anderen Seite des Tisches nieder. «Wo ist denn der faule Boy? David!»
Der Junge kam herangelaufen und machte einen Diener. «Hier», Reinmar zog ein Taschenmesser aus der Tasche seiner Pantalons. «Schneide dort drüben ein Bananenblatt ab und sorge für eine frische Brise für Doña Janna.»
David gehorchte, und Janna fand es geradezu skurril, dass der Junge ihr Luft zufächelte. «Ein wenig wie am Hof des Sonnenkönigs oder in der römischen Antike komme ich mir ja schon vor», sagte sie, während sie Lucila dankend zunickte, die das Frühstück servierte und Kakao nachschenkte. «Ist David auch ein Sklave?»
«Ja.»
«Mir gefällt das nicht.»
Reinmar bestrich einen Toast mit Anchovispaste, lehnte sich zurück und biss genüsslich hinein. «Er bekommt Lohn und kann sich in ein paar Jahren freikaufen. Ich habe von del Morales bereits die Zustimmung eingeholt, die übliche Summe um zehn Prozent heruntersetzen zu dürfen. Wenn David anstellig ist, bekommt er noch einen Nachlass. So wird er sich hoffentlich doch noch irgendwann Mühe geben und nicht wie seine Eltern in den Busch laufen, um zu einem Cimarrón zu werden. Das gilt auch für Lucila.»
«Und Ana?»
«Die ist eine Zambo, die Tochter eines Indios und einer schwarzen Sklavin, und schon unfrei geboren. Sie hat gesagt, dass sie mit Freiheit nichts mehr anfangen kann. Sonst gibt es auf La Jirara keine Sklaven mehr. Der Rest hat sich nämlich im Durcheinander des Auszugs von del Morales und seiner Entourage in die Büsche geschlagen. Die Stallburschen, die ich jetzt habe, stehen alle in Lohn und Brot. Was soll’s», er nahm einen Schluck Kaffee aus der Porzellantasse und schlug elegant die Beine übereinander. Das Stiefelleder knarrte. «Wenn der sogenannte Libertador es tatsächlich schafft, das Land der spanischen Herrschaft zu entreißen, dürfte sich die Sklaverei sowieso überholt haben. Schließlich haben sich Bolívar und seine Anhänger ‹Freiheit› auf die Fahne geschrieben. Aber Liebste, das Thema muss eine Dame doch langweilen? Was hältst du davon, wenn wir über den Hof ein Moskitonetz spannen?»
Janna wollte protestieren; was war denn daran langweilig? Seine Frage verblüffte sie
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