Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
Vom Netzwerk:
Toilettenhocker, schlug ein Bein über das andere und zog ein Notizbüchlein und eine Bleifeder aus der Tasche seines Fracks. Doctor Cañellas’ Garderobe war ebenso elegant wie die Bewegungen seines langen, schlanken Körpers, und er trug die dunkelbraunen Locken wild. Nicht verwunderlich, dass der modebewusste Reinmar in ihm einen Freund gefunden hatte.
    «Vier Mal, wenn ich mich recht entsinne.»
    «Gab es Begleiterscheinungen?»
    «Schüttelfrost, Übelkeit. Und einmal habe ich mich erbrochen und drei Tage im Gebüsch gehockt, wenn Sie verstehen, was ich meine.»
    «Gewiss.» Er lächelte, während er all das notierte. «Diarrhö.»
    «Und einmal hat ein Mückenstich am Fuß so heftig gejuckt, dass ich ihn blutig gekratzt habe und der Fuß anschwoll. Der sah zwei Tage lang aus wie aufgeblasen.»
    Auf der anderen Seite des Bettes wedelte sich Frau Wellhorn mit einem Fächer Luft zu. Ihr wich die Farbe aus dem Gesicht, und Janna dachte, dass sich der Doctor wohl gleich um sie kümmern müsse, doch der beachtete sie gar nicht.
    «Europäer sind nach ihrer Ankunft gewöhnlich recht krankheitsanfällig», sagte er. «Sogar Señor Götz brauchte seine Zeit, sich zu akklimatisieren. Sie haben großes Glück gehabt, Señorita. Dazu einen Schutzengel und eine sehr robuste Natur.»
    «Das kommt vom Reiten.» Darauf war Janna auch ein bisschen stolz. «Deshalb dürfen bei uns in der Familie auch die Frauen reiten. Wir sind alle zäh. Sogar meine Großmutter ist bis vor ein paar Jahren noch ausgeritten.» Nur Gisela, die hochnäsige Schwester, hatte irgendwann begonnen, daheim zu sitzen und über ihre Frauenleiden zu klagen, weil das den Mannsleuten angeblich gefiele. Allerdings verzichtete Janna darauf, das auch noch zu erwähnen.
    «Damit ist es fürs Erste vorbei.» Doctor Cañellas zwinkerte ihr zu, als sei dies eine gute Nachricht. Dieser Mann gehörte wahrscheinlich zu dem seltenen Menschengeschlecht, an dessen guter Laune nur wenig kratzen konnte.
    «Bei Gott, ist es ernst?» Frau Wellhorn schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund.
    «Aber nein. So ist das manchmal nach Strapazen: Man hat alle Kräfte mobilisiert, nur um dann hinterher doch noch die Waffen zu strecken. Was die Dame plagt, ist im Grunde nur ein sehr ausgeprägter Erschöpfungszustand. Den soll sie gründlich auskurieren.» Er wandte sich wieder Janna zu. «Essen Sie reichlich, und trinken Sie täglich Kakao, das kräftigt. Ansonsten: einmal am Tag ein kurzer Spaziergang und viel Schlaf. Jemand soll in der Apotheke Rindenextrakt vom Angosturabaum holen, davon nehmen Sie die nächsten Abende einen kleinen Löffel. Es ist ein gutes Fiebermittel. Ich darf mich fürs Erste von den Damen verabschieden. Wenn etwas ist – zögern Sie nicht, mich rufen zu lassen.»
    Er erhob sich und reichte Janna die feingliedrige Hand. «Aber was ist mit der Hochzeit?», rief Frau Wellhorn.
    «Keine Anstrengungen in der nächsten Zeit!», mahnte er so freundlich wie bestimmt und schritt zur Tür, wo er noch einmal kehrt und einen zackigen Diener machte; dann war er verschwunden, und Frau Wellhorn stöhnte lauthals auf.
    «Schlimm genug, dass Sie beide auswanderten, ohne verheiratet zu sein. Aber dass Sie dann auch hier unter einem Dach gemeinsam leben wie die Wilden – so war das aber nicht geplant!»
    «Es war so einiges nicht geplant, was dann kam», meinte Janna trocken.
    Händeringend lief die Anstandsdame hin und her. «Ihr Leumund sollte nicht weiter leiden. Wenigstens darf Herrn Götz’ Schlafzimmer nicht auch auf dieser Etage liegen. Ich werde ihm sagen, dass er am andern Ende des Hauses schlafen soll. Das Beste wäre sowieso, er würde sich in der Stadt eine Wohnung mieten.»
    «Frau Wellhorn, nun ist’s aber gut! Ich bin müde, bitte gehen Sie.»
    Brummelnd verließ Frau Wellhorn das Zimmer. Janna warf sich auf die Seite und schloss die Augen. Sie schob den ungebührlichen Gedanken beiseite, die alte Dame zu Unrecht vermisst zu haben, und verlor sich in der Vorstellung saftiger Weiden, umrahmt von Wäldern und schwarzen Bergen. Pferde preschten über das Grün, vorbei an einer kleinen Hochzeitsgesellschaft, die an weiß gedeckten Tischen tafelte. So hatten Reinmar und sie es sich in den schönsten Farben ausgemalt. Eine Zeremonie in der freien Natur, als lebten sie zur Zeit der ersten Siedler. In Hamburg wäre das undenkbar gewesen. Gisela und der Vater hatten bei der Eröffnung dieser Pläne denn auch die Luft angehalten, und sogar Oma Ineke hatte das

Weitere Kostenlose Bücher