An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
jedoch so sehr, dass sie stattdessen fragte: «Wie stellst du dir vor, wie das gehen soll?»
«Oder ich lasse hier einen Pavillon bauen. Dann stört dich keine Mücke mehr.»
«Und ich komme mir vor wie ein Papagei im Käfig.» Sie lachte. «Meinetwegen musst du nicht solche Umstände machen. Ich hätte auch gar nichts dagegen, wenn dein Hemd einen Fleck hat oder die Sporen nicht gar so glänzen.»
«Janna!» Er wirkte erschrocken, was sie nur mehr zum Lachen reizte. Dabei war ihr eher nach Weinen zumuten. «Wie kommst du nur auf solche Gedanken?»
Sie glaubte die Antwort zu kennen. Nur, wie ließe sich die aussprechen? Ja, weißt du, der Reinmar, in den ich mich verliebt habe, ist mir irgendwie aus den Händen geglitten. Jetzt brauche ich einen Reinmar, den ich wieder ergreifen kann. Einen, der nicht vor lauter Seife schlüpfrig ist.
«Verzeih», sagte sie wehmütig lächelnd. «Aber wenn man so lange in Schuhen herumgelaufen ist, aus denen die Zehen herausschauten, kommen einem Sporen und Degen zum Frühstück etwas närrisch vor.»
Das fand er offenbar so entsetzlich, dass er hustete und sich rasch die Serviette an den Mund hielt.
«Es tut mir leid», sagte sie, mühsam um Ernsthaftigkeit ringend. Dieses Gefühl, gleichzeitig lachen und heulen zu wollen, war lästig. Hoffentlich ließ das bald nach. «Du siehst ansonsten natürlich hinreißend aus. Am liebsten würde ich dich malen. Weißt du eigentlich, was dein Aguinaldo gewesen ist?»
«Wie», er wedelte sich mit der Serviette Luft zu, «wie hätte ich das wissen sollen?»
«Ich hatte dich à la Brummell gezeichnet, aber leider die Lederrolle, in der die Zeichnung war, verloren. Meinen Koffer konnte ich ja zunächst retten – nur damit er dann im Fluss versinkt. Und ich hatte so gelungene Zeichnungen darin! Von Schildkröten mit schwarzen Panzern und Riesenzikaden und Hornissennestern, die aussahen wie lange Zöpfe …»
«Hornissen?», keuchte er, und sie winkte ab.
«Die waren noch harmlos.»
«Um Gottes willen, Janna. Aber jetzt fällt mir ein, was ich dich die ganze Zeit schon fragen wollte. Wo ist dein Weihnachtsgeschenk?»
Fast hätte auch sie sich an ihrem Kakao verschluckt. An die Granatrose hatte sie gar nicht mehr gedacht. «Das habe ich leider auch verloren.»
Warum sagte sie nicht einfach die Wahrheit? Gab es irgendeinen Grund, Arturo zu schonen?
«Wer war der Mann, der dich gerettet hat? Du hast bisher noch kaum etwas von ihm erzählt.»
Ein dummer Zufall, dass auch Reinmar jetzt an ihn dachte? Oder konnte man das von ihrem Gesicht ablesen? Um sich zu sammeln, aß sie noch einen Happen ihrer mit Kokoscreme gefüllten Teigtasche. «Ein schönes krosses Rundstück mit Butter und Erdbeermarmelade wäre mir jetzt lieber», sagte sie. «Oder ein Franzbrötchen! Die waren so lecker.»
Er krauste die Stirn. «Na, wenigstens eine schöne Erinnerung an die Franzosenzeit, hm? Ich werde sehen, ob sich das für morgen machen lässt. Wie hieß der Mann noch gleich?»
«Arturo.» Es hatte ja keinen Zweck, dem Thema auszuweichen. «Ich glaube, er war ein Cimarrón, ein umherziehender Sklave. Deshalb lebte er im unzugänglichen Delta, und deshalb ist er Ortschaften aus dem Weg gegangen. Als er mir zum ersten Mal Tasajo gab, das sind steinharte Fleischstreifen, sagte er ganz süffisant: ‹Sklavennahrung.› Und hier», sie schlug sich auf die Brust, «hatte er Narben, ich nehme an, von einer Bestrafung.»
«Und wem gehörte er?»
«Einer Mission im Delta, aber die Mönche leben nicht mehr. Er wollte dann zu einer anderen Mission tief im Westen, nach Gold suchen. Mich schleppte er mit, weil ich ihm dummerweise durch die Blume gedroht hatte, ihn bei den Behörden in Angostura anzuzeigen. Ich … es … es stimmte nicht, was ich eben sagte: dass ich die Rose verloren habe. Er hat sie mir weggenommen. Er war schrecklich! Ungehobelt, herrisch. Ständig hat er mich drangsaliert.»
Sie zerrte ihr Taschentuch aus dem Ausschnitt und presste es an den Mund. Nein, Tränen gab es keine zu verbergen, doch sie musste irgendetwas tun, um ihrer Fassungslosigkeit über sich selbst Herr zu werden. All das war ja nicht gelogen, trotzdem kam es ihr wie eine hässliche Verleumdung vor. Warum tat sie das? Weil ich sein Bild nicht aus mir herausreißen kann , erkannte sie mit nüchterner Klarheit. Also muss ich es wenigstens schwarzmalen. Vielleicht hilft das ja .
«Was beklage ich mich, immerhin hat er mein Leben gerettet, als er mich vom Strand auflas»,
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