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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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gelesen hatte, und richtete sich in seinem Lehnstuhl auf. «Doña Janna, was kann ich für Sie tun?» Mit einer matten Geste bat er sie, dem Schreibtisch gegenüber Platz zu nehmen.
    Janna gehorchte. «Exzellenz, bitte sagen Sie mir, woher Sie das haben.» Mit beiden Händen legte sie das geöffnete Etui vor ihn auf den Tisch.
    Er zog es näher heran, hob den Inkaschmuck heraus und ließ die goldenen Kettenglieder, die Dreiecke, Rosetten und das Dämonengesicht mit den beiden Smaragdaugen und der Krone durch die wulstigen Finger gleiten. «Ein schönes Stück, nicht wahr? Ich dachte mir schon, dass Señor Götz es Ihnen zum Geschenk machen wird. Dabei hätte er die Piaster, die ihm das Gold einbringen würde, viel nötiger. Verliebter Kerl. Aber es bleibt ja in der Familie.»
    Sein Lachen war rau und unpassend. Sie fragte sich, ob er zu viel getrunken hatte. Eine sündhaft teure und halb geleerte Flasche Vin retour des Indes stand auf dem Tisch. Allerdings vertrug der Mann sehr viel, und er roch auch nur nach Schweiß und schlechten Zähnen. «Bitte, Exzellenz, es ist mir sehr wichtig. Wo ist der Mann, dem das gehörte?»
    Grübelnd rieb er sich durch die verschwitzten Haare. Dann sackte er zurück und legte die Arme auf die Lehnen. Schwer hob sich seine Brust. Seine Kleidung saß schlecht und war fleckig, als schlafe er schon seit Tagen darin. Vermutlich hatte er jedoch nächtelang wachgelegen. Janna war auf ihrem Beobachtungsposten unter dem Dach nicht entgangen, dass die letzten Kämpfe zu Ungunsten der Spanier geendet hatten. Das Stöhnen der Verwundeten und das Schreien jener, die unter den Sägen der Feldscher ihr armseliges Leben behielten, drangen Tag und Nacht selbst in die entlegensten Winkel der Villa. Man musste nur wenige Schritte aus dem Haus gehen, um in eine andere Welt zu gelangen, wo die Menschen hungerten und an Ruhr und Fieber krepierten. Zumindest hatte das Reinmar gesagt – sie selbst hatte das Haus seit Ewigkeiten nicht mehr verlassen. All das war zu unfasslich, um es zu begreifen. Als drücke Frau Wellhorn die Hand vor Jannas Augen, so wie früher in den Straßen Hamburgs, damit sie die Kriegsversehrten nicht näher sah, aus deren Stümpfen und leeren Augenhöhlen der Eiter rann. Gestern noch hatte Doña Begoña den Geburtstag des jüngsten Sohnes gefeiert, mit einer Torte, von der sich Janna gar nicht erst gefragt hatte, wie die Köchin an die Zutaten gekommen war. Außer ihrem geliebten Kakao hatte sie nichts hinunterbekommen. Der älteste Sohn, der Offizierskadett, diente auf El Zamuro als ungefährdeter Schreibtischtäter. Das Leben ging weiter im Hause Uriarte.
    «Im Gefängnis», antwortete der Marqués.
    «Seit … wann?»
    «Ein Jahr.»
    Ein Jahr? Janna schwankte, suchte Halt an der Kante des Schreibtisches. «Ist sein Name … Arturo?»
    Er nickte. Seine Finger glitten über die Erhebungen des Goldes. «Es ist ja wahrhaftig nicht meine Aufgabe, mir zu merken, wie die Arrestanten heißen. Aber an diesen Mann erinnere ich mich gut. Eben wegen dieser Goldkette hier. Wegen des ungewöhnlichen Vergehens, das er verübt hat. Und natürlich, weil er jeden Kerl um einen halben Kopf noch überragt und sich die abscheuliche Maria Lionza auf den Arm tätowiert hat.»
    Ihr wurde schlecht, wenn sie nur daran dachte, dass sie seit Monaten im Haus eines Mannes weilte, der die ganze Zeit gewusst hatte, was mit Arturo geschehen war. In dessen Schreibtisch womöglich seit einem Jahr dieser Schmuck lag, bis er anscheinend aus einer Laune heraus beschlossen hatte, ihn großzügig zu verschenken. «Abscheuliche …», keuchte sie. «Wie meinen Sie das? Ist es nicht die Mutter Gottes?»
    De Uriarte presste höhnisches Gelächter durch die Nase. «Maria Lionza? Das ist ein übler Schamanenkult. Sie soll die Tochter eines Indiohäuptlings gewesen sein. Unter den Negern, Mulatten, Indios und was es sonst noch an bunten Rindern gibt, ist ihr Kult weit verbreitet. Sie ist die Göttin von Sklaven, Banditen, Abschaum. Ja, für die Mutter unseres Heilandes halten diese Leute sie auch. Aber eine Frau, die auf einem Tapir reitet – ich bitte Sie!»
    Sie erinnerte sich daran, wie die Mönche der Mission das Bild auf Arturos Arm missbilligend gemustert hatten. Der Grund war gar nicht das schlichte Eintätowieren gewesen, wie sie geglaubt hatte. Wie dumm sie doch gewesen war … «Gehört Kannibalismus auch zu diesem Kult?» Sie hörte kaum die eigene schwache Stimme. Alles sah sie wieder vor sich: das

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