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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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ersten Schlacht, als sie in Blut getaucht wurden und sich der Rauch der Kanonen wie Nebel auf die Stadt senkte, wieder zu erlöschen. Die Luft war vom Donnern und Knallen und den hässlichen Geräuschen erfüllt, wenn Kartätschengeschosse in die Körper schlugen und Männer wie Kinder heulten und heiser gebrüllte Befehle und Parolen erstarben. Und als sei es des Getöses nicht genug, läuteten ständig die Glocken der puppenhaften Kathedrale. Das Klima war anders, der Fluss breiter, doch dieser Irrsinn war offenbar überall gleich.
    Die Reitertruppen der Llaneros waren verwegene Haudegen, die mit Lanzen und Macheten kämpften und am lautesten brüllten, wenn sie einen Feind töteten. Mit ihren erdfarbenen Ponchos und den langen gewichsten Schnurrbärten wirkten sie alle wie Entrerríos’ Ebenbilder. Vielleicht waren der Stallknecht und die Amazone, mit der sich Janna vor Monaten ein kurzes Wettreiten geliefert hatte, unter ihnen. Andere Truppenteile dieses Bolívarischen Heeres wirkten bunt zusammengewürfelt, ihre Uniformen schlecht sitzend und löchrig, die Waffen veraltet. Das war das Freikorps der Gesetzlosen, der entlaufenen Sklaven und gescheiterten Piraten. Auch Briten, Franzosen und Deutsche kämpften für den Libertador. Er selbst, so berichtete man, pflegte seine Schlachten in vorderster Gefechtslinie zu schlagen, wo er sich gerne mit halsbrecherischen Manövern in tödliche Gefahr brachte. Manchmal, wenn Janna einen verwegenen Kämpfer ausmachen konnte, dessen Uniform einen höheren Rang verriet, fragte sie sich, ob er es war.
    Sie fragte sich auch, warum sie sich diesen Anblick antat, statt hinunter in den Salon zu gehen, wo die Damen des Hauses bei Kaffee und Tee saßen, langweilige Geschichten erzählten, stickten und aßen und verzweifelt so taten, als sei das dort draußen nur ein kleines Erdbeben, wie es sie ab und zu nun einmal gab. Manchmal ging Janna hinunter, um der Höflichkeit Genüge zu tun. Dann erfuhr sie, dass der general de brigada der Rebellenarmee, Manuel Piar, ein Mulatte und Freund Bolívars war und Miguel de la Torre, der Befehlshaber der spanischen Truppen, seine Meriten in den napoleonischen Kriegen erworben hatte. Nutzloses Wissen. Mittlerweile gab es zum Tee nur noch Gebäck ohne Sahne, und in den Wochen darauf beklagte die Marquesa über ihrem gutgefüllten Teller, dass die armen Leute in der Stadt vom schlechten Essen krank wurden, falls sie nicht ohnehin an Stroh und Leder kauten. Janna trank ihren Kakao mit weniger Zucker und schlechtem Gewissen, und das aufgetischte Pferdefleisch aß sie mit ungewohnter Gier. Danach wälzte sie sich auf ihrem Bett, weil ihr schlecht war. Es war wie damals. Nein, schlimmer – dieses Mal wusste sie nicht, wovon sich ihre Zukunftsträume nähren sollten. Dieses verdammte – ¡Carajo! – Revolutionsheer sollte endlich durch die Straßen stürmten und die Festung El Zamuro nehmen, die über Angostura wachte und ihr Geschützfeuer über die Dächer der Stadt in die feindlichen Linien jagte. Waren nicht Freiheit und Unabhängigkeit, die independencia , erstrebenswerte Dinge? Sie ersehnte sich, dass Bolívar auf der Plaza Major einritt, in der hochgereckten Faust die Flagge der Republik. Das Gelb ist die Sonne, der Boden, der goldene Fluss. Das Blau ist das Meer, das die neue Nation von Spanien trennt. Das Rot ist das Blut, das für die Unabhängigkeit vergossen wird. Die sieben Sterne sind die sieben Provinzen, die sich dem Kampf angeschlossen haben  – wo hatte sie das gelesen? Richtig, jemand hatte das Pamphlet an die Tür des Hauses genagelt; die Dienerschaft hatte es abgerissen und tuschelnd weitergereicht, bevor der Majordomus es ihnen aus den Händen gerissen und im Küchenherd verbrannt hatte. Beim darauffolgenden Abendessen hatte der Gouverneur verkündet, dass man dem Verfasser an der Mauer der Kathedrale zwölf Kopfschüsse verpasst habe. Das sei, hatte er auf Frau Wellhorns entgleiste Gesichtszüge hin angefügt, nun einmal der bevorzugte Ort für standrechtliche Erschießungen.
    Sooft es Reinmar möglich war und die Etikette es zuließ, kündigte er seinen Besuch an. Janna empfing ihn im Patio, der noch schöner und üppiger bepflanzt als ihrer war. Ein buschiger Tamarindenbaum beschattete die Sitzgruppe. Die Familie hielt sich sogar ein paar Kapuzineräffchen, die frei herumtollen durften. Konnte Frau Wellhorn ihrer Berufung als Anstandswauwau nicht gerecht werden, weil sie sich in ihrem Bett liegend bei Gott beklagte, dass

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