An diesem einen Punkt der Welt - Roman
Schulstufe die Methoden von X. kannten und sie überlebt hatten, waren unterwegs, am Meer oder in Sprachschulen in Bath, Paris oder Perugia. Oder Interrail, Welt entdecken. Siebzehn, achtzehn Jahre jung, alles offen, alles spannend, cool, verführerisch. Dominik im Dorf. Lernen.
Auch für Dominiks Eltern kein Urlaub. Kleines Budget, große Belastung. Der Vater vorübergehend arbeitslos. Ferienschule für Dominik, große Zuversicht der Lehrer. Erstaunliche Fortschritte, Dominiks Freude am Stoff. War leicht zu motivieren. Die Maturaklasse lag vor ihm. Endlich alles hinter sich lassen. Aber steigende Panik vor dem Versagen.
Tom sah, was geschah. Sah, wie Dominik alles Selbstvertrauen verlor und wie erloschen sich vergrub, während draußen das Leben vorbeizog. Tom hatte Ähnliches erlebt an der Universität, als er drei Mal mit seiner Arbeit über Till Eulenspiegel gescheitert war. Sie entspreche nicht den akademischen Richtlinien, hieß es. Toms Wut und Überheblichkeit – er wusste, dass seine Theorien und seine Sprache gut, wenn auch unangepasst waren – verwandelten sich in Verunsicherung. Dann kam die Angst. Dann der Widerwille und der vorläufige endgültige Abbruch des Studiums. Er hatte selbst erfahren, dass dieses verderbliche Gemisch aus möglicher eigener Schuld, Ausgeliefertsein und fremder, willkürlicher Machtausübung sich wie ein nasser Fleck in weichem Gewebe ausdehnt und in alles diffundiert, was man an sich selbst achten konnte.
Noch einmal: die fehlenden Module.
Das schiefe Lächeln: nein .
Nichtgenügend. Negativ. Sehr knapp.
Die Beisitzerin sagte kein Wort.
Da brach Dominik zusammen. Sie brachten ihn nach Hause. Am Abend rief Professor X. an. Sie war von den Kollegen, die alle Dominiks Leistungen in den übrigen Fächern und seine konziliante Art, auch als Schülervertreter, schätzten, zu einem netten Wort überredet – gezwungen? – worden. Sie wand sich, sprach vage von Zusammenarbeit und der immer noch bestehenden Möglichkeit eines positiven Weges. Ihr Anruf simulierte Hoffnung.
Aber im Grunde war längst alles verloren und ein positiver Abschluss vor der Zulassungsfrist für die Matura allein aus Zeitgründen nicht mehr realistisch. Von der Möglichkeit, die Prüfungen bei Alternativlehrern ablegen zu lassen, was legitim gewesen wäre, erfuhren Toms Eltern zu spät. Einer von Dominiks Freunden, der ebenfalls gescheitert war, verließ die Schule. Assunta konnte zur Nachprüfung nicht antreten. Sie hatte Panikattacken.
Das sind die weiteren Fakten: Beim freiwilligen Test für die Zentralmatura schrieb Dominik eine der besten Arbeiten. Der Physik-, der Geschichte- und der Lateinprofessor fragten, ob er in ihrem Fach maturieren wolle. War selbst ihnen die Aussichtslosigkeit nicht klar? Prof. X. desinteressiert. Ließ Dominik links liegen. Das Telefonat wie nie gewesen. Im subjektiven Spielraum der Beurteilung bei langen, schwierigen Deduktionen: ausnahmslos Minuspunkte.
Außerdem, sagte Professor X. in der letzten Sprechstunde vor Weihnachten zu Florian Mühlheimer, Dominiks Vater, vergebe ich für jede Nicht-Mitarbeit zusätzliche Minuspunkte. Von der Nachprüfung bis heute waren es zweieinhalb Monate, das ergibt 60 Tage zu je einer Unterrichtseinheit – die 11 × 2 Wochenendtage und je einen unterrichtsfreien Tag minus 4 Feiertage abgerechnet. Davon hat der Schüler 21 Unterrichtsstunden mitgearbeitet, 39 jedoch nicht. Das macht 65 % Minuspunkte. Das allein ergibt, noch ohne schriftliche Prüfung: Nichtgenügend.
Wie bitte?
Ich bin gerecht. Ich bin durch Zahlen gedeckt.
Der Vater sagte: Das kann nicht Ihr Ernst sein.
Professor X. sagte: Doch.
Der Direktor sagte: Sie können sich einen Rechtsanwalt nehmen, Herr Mühlheimer.
Dominik am Ende. Flehte die Eltern an, nichts zu unternehmen: Keinen öffentlichen Protest, keine Suche nach Unterstützung durch die oberste Schulbehörde, keinen Rechtsanwalt. Fazit: keine Zulassung zur Matura.
Es schien allen Außenstehenden und später den Beteiligten selbst schwer verständlich, wie es so weit kommen konnte oder man es so weit hatte kommen lassen. Der Schüler, die Eltern, der Direktor, der Beratungslehrer, der Landesschulrat, die Öffentlichkeit, man hätte doch, man hätte doch müssen … Das gibt’s doch alles gar nicht, sagten die Bekannten, in der Schule meiner Tochter, meines Sohnes wär’s nie so weit gekommen, da hätten sich die anderen Lehrer, da hätte sich der Direktor, da hätten wir als Eltern …, da hätten wir
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