An diesem einen Punkt der Welt - Roman
gepasst hat, oder soll ich sagen: in seinem Egoismus. Jedenfalls nicht leicht für seine Freundinnen. Überhaupt nicht mainstreamig, der Mann, ein bisschen melancholisch, null auf Anerkennung aus. Und doch hat er viel durchgesetzt von dem, was er wirklich wollte, er war unser Vor-Denker, da war er Optimist und ein großer Improvisierer, das war er von der Musik her gewöhnt, er war ein super Musiker. Manchmal denk ich, es war bei ihm wie bei Fuchs und Henne oder Mühle oder Schach: Man kann die Steine oder Figuren dahin setzen oder dort, am Ende ist es gut, wenn man gewinnt, aber wenn nicht, bricht die Welt auch nicht zusammen.
Zeitweise war Tom begeisterter Fußballspieler. Organisierte eine Jugendmannschaft im Dorf und spielte selbst bei Lokalturnieren mit. Liebte die deutsche Bundesliga und die Champions League im Fernsehen. Sein eigener Fernsehapparat war alt und gab schlechte Schwarzweiß-Bilder, so wich er zu Parmenides und Roberta aus.
Manchmal blieb er dort über Nacht.
Wenn er etwas Abstand von Elisa brauchte.
Auch das kam jetzt manchmal vor.
Hatten sie sich gestritten? Nein.
Gingen sie sich aus dem Weg? Nein?
Hatten sie die sieben Namen für den Wind vergessen?
Aber.
Und im Einschlafen zog an Tom der Wunsch vorüber, jener Mann zu sein, der den Mördern von Josef K. aus Kafkas „Prozeß“ in den Arm fällt, im Steinbruch, in der Nacht. Und jedes Spiel war vorbei.
12
Schach spielte Tom auch mit Dominik.
Aber das war schon eine Weile her. Dominik kam kaum mehr zu Besuch in jenen Monaten, in denen eine Bagatelle zu einer bedrohlichen Situation wurde. Tom war zunächst Zuschauer, dann Beteiligter. Er besaß nie die Fähigkeit, wegzuschauen, und zog alles, was ihn belastete, wie ein Beiboot mit sich.
Er wusste von den vielen jungen Leuten, die zu ihm kamen, dass Dominiks Erfahrung kein Einzelfall war. Vielmehr ein Beispiel, wenn auch ein krasses, für manche Schüler-Schicksale. Vielleicht, notierte er in seinem Heft, sollte er doch Mittelschullehrer werden, um so etwas zu verhindern. Es ging weit über die Grundsatzdebatte hinaus, ob die Schule eine starre Noten-Zuchtanstalt war oder ein bewegliches Instrument zur Vorbereitung auf das Leben. Er kannte viele gute, begeisterungsfähige Lehrer aus dem Stiftsgymnasium und den Schulzentren von Kolness, war mit einigen befreundet und schätzte ihre unterschiedlichen Methoden, Heranwachsenden Wissen und Lebensmut zu vermitteln. Er wollte nicht verallgemeinern, aber dieser Fall beschäftigte ihn mehr und länger, als er selbst wollte.
Mathematik.
Mathematik war das Thema. Mathematik war der Horror. Dominik hatte nach einer gescheiterten Französisch-Nachprüfung in der siebenten Gymnasialklasse in eine Schule mit Modulsystem gewechselt, das die Möglichkeit zum Aufstieg in die nächste Schulstufe bot, selbst wenn die Module in einem Fach nicht positiv abgeschlossen werden sollten. Man konnte sie später nachholen.
Dominik kam in die Klasse mit der strengsten Mathematiklehrerin. Kein Problem, meinte er, er war nie gut, aber auch nie schlecht in diesem Fach gewesen. Erst später war zu erfahren, dass Frau Professor X. berüchtigt dafür war, unter spitzfindiger Auslegung des Lehrplanes ihre Prüfungen in der Verschlüsselung eines höheren Mathematikstudiums zu stellen, um sich damit einen besonderen Ruf an den Universitäten des Landes zu schaffen. Sie halbierte dadurch die Schüleranzahl ganzer Klassen und tyrannisierte Generationen von Schülern. Nicht wenige haben psychologische Hilfe gebraucht. Eine Klassenkameradin mit dem seltenen Namen Assunta schlitterte in derart tiefe Depressionen, dass sie zur stationären Behandlung in die Nervenabteilung des Kreisspitals eingewiesen werden musste. Dominik besuchte sie oft, kam bedrückt zurück.
Dann fraß sich Mathematik in das Leben einer jungen Familie.
Lernen, Nachhilfe, Nachprüfung. Nichtgenügend. Knapp, aber negativ.
Lernen, Nachhilfe, Nachprüfung. Nichtgenügend. Knapp, sehr knapp, aber negativ.
Nachhilfe- und Vergleichslehrer schüttelten den Kopf: Aufgabenstellung zu schwierig, Benotung zumindest positiv. Wäre nicht längst Zeit für einen Protest gewesen? Ein schiefes Lächeln: nein . Wirst du nie schaffen. Aber Gerechtigkeit in Person. Zwei Worte nisten sich ein, marschieren auf am Morgen, tanzen Tango in der Nacht: Knapp. Negativ. Kein Wort der Ermunterung.
Irgendjemand brachte das Wort Sadismus ins Gespräch.
Die wenigen Klassenkameradinnen und -kameraden, die seit der ersten
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