An diesem einen Punkt der Welt - Roman
spielte er seine Melodien, die Klänge zogen wie heimliche Botschaften über die brennenden Kerzen zu Jesu Füßen, über das ausgebleichte Holz der Scheunen und den Rauchfang des verfallenden Gehöfts. Tom und Dominik lehnten an der Mauer der Kapelle. Die Musik strich über die Haut. Alles Schwere sank durch den grünen Teppich der Wasserlinsen in den Löschteich, bis auf den Grund.
Ich möchte Trompetenspielen lernen, sagte Dominik beim Nachhausegehen.
Und Tom schenkte ihm Bücher: Hans Magnus Enzensbergers „Verteidigung der Wölfe“, Erich Hackls „Abschied von Sidonie“ und Ilija Trojanows „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“. Necla Keleks journalistische Arbeiten. Das ist nicht nur in Berlin oder Frankfurt so, sagte Tom, ist auch bei unseren Türken so, geh einmal zum Bahnhof hinunter und frag, wie sich’s lebt in der Fremde mit ihren eigenen Bräuchen und mit unseren. Es gibt andere Sorgen und Herausforderungen im Leben als einen Schulabschluss.
Tom redete, als ob er sich selbst Ratschläge gäbe. Und griff dann zur Gitarre, sie saßen in Winterpullovern auf der Veranda. Es hatte zu schneien begonnen. Die Flocken vergingen im Bach, die Glocken der Stiftskirche läuteten zum späten Abend und vielleicht gelang es, für eine kurze Spanne Zeit vergessen zu machen, was zu den bittersten Erfahrungen eines Lebens zählt: das Scheitern.
Most of the time
My head is on straight
Most of the time
I’m strong enough not to hate …
*
Bald darauf trat Dominik seinen Zivildienst an.
Er hatte sich für eine Resozialisations-Abteilung beworben, in der Menschen aufgefangen werden sollten, die aus der Bahn geworfen worden waren. Sie sollten wieder einem normalen Alltagsleben zugeführt und einem geregelten Arbeitsprozess eingegliedert werden.
Ich kann sie besser betreuen als die amtlichen Psychologen, sagte Dominik.
13
Die Feuersalamander lagen in ihrem Bau.
Schliefen nicht, waren nicht wach.
Waren zwischen den Seinsformen. Niemals fehlt der gelbe Fleck auf ihren oberen Augenlidern. Wenn sie zu neuem Leben erwachen, ist ihre Arbeitszeit die Nacht.
Auf dem Scheunendach war der erste Widerschein der wiederkehrenden Sonne. Bäche und Flüsse führten Schmelzwasser. Fenster wurden geputzt. In manchen Vorgärten hingen bunte Ostereier aus Plastik an den noch kahlen Büschen.
War es eine gute Zeit für Elisa und Tom?
Es gab einige Veränderungen. Elisa hatte sich entschlossen, in der Reiseagentur zu kündigen und eine Stelle in der Notariatskanzlei von Kolness anzunehmen. Es fiel ihr nicht leicht, sie hatte gut verdient und das Bewegliche entsprach ihrer Lebensauffassung, neue Städte, Landschaften und Mentalitäten, Fremdes in allem. Aber sie hatte das Wanderleben satt, das Kofferpacken und Warten auf den Flugplätzen, und die Verhandlungen mit den 600-Betten-Hotels waren mitunter demütigend und aufreibend. Vor allem aber wollte sie Tom nahe sein. Sie hatten Pläne.
Das Lamanderhaus war durch Elisa wohnlich geworden. Sie wäre eine gute Innenarchitektin gewesen, hatte Sinn für Farben und Formen, kaufte diese oder jene Kleinigkeit, um einem Raum einen neuen Akzent zu geben, und war einfallsreich im Umgestalten alter Dinge. Es war auch halbwegs warm im Haus, die Holzzentralheizung, die vor Jahren eingebaut worden war, funktionierte recht und schlecht, zur Verstärkung wurden die Kachelöfen geheizt. Tom liebte es, sie zu sehen, wenn sie abends auf der Ofenbank saß, um ihr langes, schwarzes Haar zu trocknen, er ging zu ihr, fuhr mit den Fingern durch die geschmeidigen Wellen, sie sah ihn an und führte seine Hand woandershin.
Sie waren viel unterwegs im Grillparzland, stapften durch die Wälder, in denen Schneerosen und Seidelbast blühten, machten kleine Skitouren im Gebirge, das mit glitzerndem Frühjahrsfirn lockte, feierten Feste, führten ein offenes Haus, fuhren nach Linz zum Konzert von Bob Dylan, es war eine Bestätigung für Tom, aber keine neue Erkenntnis. Nur eine enthusiastische Zugabe.
Tom war vorübergehend mehr zu Hause als sonst. Er hatte wesentlich an vielerlei Erfolgen in der Gemeinde mitgewirkt, das schien ihn ruhiger zu machen. Das wichtigste Ergebnis war die Untertunnelung der Autobahntrasse, die längst im Bau war. Tom saß lange Abende an seinem Schreibtisch, Elisa hoffte, dass er an seinem Universitätsabschluss arbeitete. Fragen wollte sie nicht, er hatte das nicht gern. Den Job als Fremdenführer in der Stiftskirche plante er zu einer Dauerstellung auszubauen. Für
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