An diesem einen Punkt der Welt - Roman
nannten ihn Mikram, es gefiel auch ihm selbst. Er war einige Jahre älter als Tom, verheiratet, Vater zweier aufgeweckter Söhne, etwas behäbig von Statur, aber wendig in seinen Bewegungen und im Denken. Und unerschütterlich in seiner Zuneigung zum Bewohner des Lamanderreichs. Er hatte schon vor Jahren bei der Renovierung des Hauses geholfen, seither war er zu einem von Toms verlässlichsten Freunden geworden. Derzeit koordinierte Mikram die Sozialhilfe für drei angrenzende Gemeinden. Er war erdnah, kräftig, geschickt, lachte gern und hatte die Fähigkeit, komplizierte Dinge zu vereinfachen.
Sie spielten Brett-, Würfel- und Strategiespiele, Spiele vor allem, in denen Situationskomik oder Wissen gefragt war. Trivial-Pursuit -Nächte, Master Edition . Darin war Tom unschlagbar, das wussten alle. Nur Matthias kam ihm nahe, spielte konzentriert, war schnell und findig, war auch ein witziger, sarkastischer Schriftsteller. Er war der Einzige, der Tom bewusst herausforderte, im Spiel, in der Diskussion und in der Frage, welches Leben das richtige im falschen wäre.
Fliegen rannten über die heiße Stirn.
Chips und Nüsse, Solettistangerl.
Wenn sich die Frauen schon verabschiedet hatten, redeten die Männer vielleicht noch ein bisschen über Frauen, aber niemand sprach über das, was ihn selbst betraf.
Die Atmosphäre dieser Runden war heiter, es ging nur um ein paar Schillinge, später um Cents. Sie waren alle keine Dostojewskij’schen Spieler, die sich und andere ruinieren. Es war nur ein Zeit-Vertreiben. Eigentlich ein gutes Wort, sagte Tom, sie vertreiben, um zu vergessen, dass das Sterbeglöckchen auf einen wartet? Aber wohin vertreibt man die Zeit eigentlich? Ums Eck? In den Wind? In eine Gaststube, wie Machiavelli – der lag ihm auf der Zunge, weil er ihn gerade studierte – ja, wie Machiavelli, der, nach der Jagd auf Krammetsvögel, am Stammtisch den Wirt, einen Fleischer, einen Müller und einen Ziegelbrenner traf, um ein paar Stunden mit ihnen Karten zu spielen und die Zeit zu vertreiben bis zum späten Abend? Denn dann legte er seine Staatsrobe an, die er in Florenz als Sekretär des „Amtes der Zehne für Freiheit und Frieden“ getragen hatte, bevor er in Ungnade gefallen war. Dann schritt er in sein Studierzimmer und begann zu schreiben: „Il Principe“. Der Fürst.
Tom war auch kein Spieler wie jene im Bahnhofsstüberl von Paulkirchen, dem Nachbarort, wo sich die Profis trafen. Tom beobachtete sie, wenn er nach einer langen Besprechung noch auf ein Bier hier einkehrte oder er auf Elisa wartete, die manchmal mit dem Abendzug nach Hause kam. Das hier war Kampf, bittere Konkurrenz. Die Spieler knallen die Karten auf den Tisch, reden kein Wort, sie rauchen und spielen Runde um Runde, starr und verbissen, der Stapel mit Geld wird größer und kleiner, und dann springt einer plötzlich auf und schreit sein Gegenüber an: Du Betrüger!, droht ihm, will auf ihn zu, der Wirt kommt, er ist korpulent, und sagt, ebenfalls drohend, raus jetzt mit euch, raus ! und kassiert die Zeche, die er mit Kreide auf die lackierte Säule hinter dem Tisch der Spieler geschrieben hat, sie zahlen, gehen zur Tür, wortlos. Draußen hört man sie schreien. Unter dem Tisch Zigarettenschachteln, Essensreste, Dreck vom stundenlangen Spiel. Ein Bub kommt, räumt mit großer Ruhe die Gläser weg und kehrt den Müll auf eine Schaufel.
Was wird aus ihm werden, ging es Tom durch den Sinn, was sieht er Tag für Tag, was wird bleiben in seinen jungen Augen, hier an den Geleisen der Durchgangsbahn von Nord nach Süd, in der kleinen Station, wo nur jeder vierte oder fünfte Zug stehen bleibt, wo die erleuchteten Fenster der Waggons vorüberziehen und die Sehnsucht nach dem Weitweg mit sich nehmen, hier im Stüberl, das seinem Vater gehört und das er einmal, so will es der Vater, übernehmen soll, das Bahnhofsstüberl der Pendler und Spieler.
Millionenshow, Frage-und-Antwort-Spiel im TV. Alle hatten Tom zugeredet, sich zu bewerben, du weißt ja immer alles und Geld kannst du auch brauchen. Schon in der Vorausscheidung am Telefon flog er raus. Nicht, dass er die Frage nicht gewusst hätte, er scheiterte an der Technik. Er besaß nur ein altes Telefon mit Wählscheibe. Als es hieß: „Wenn Sie die Antwort wissen, drücken Sie die Drei“, konnte er das nicht. Mobiltelefon und Internetanschluss hat er erst bekommen, als es nicht mehr anders ging, sagte Mikram. Er war schon ziemlich beharrlich in seiner Art so zu leben, wie es ihm
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