An diesem einen Punkt der Welt - Roman
Ruinen hielten Zwiesprache mit Göttern und Menschen.
Du aber wirst erfahren des Äthers Wesen und alle Sternbilder im Äther und der reinen klaren Sonnenfackel sengendes Wirken, und woher sie entstanden, und das irrende Wirken und Wesen des rundäugigen Mondes wirst Du erkunden …
Parmenides aus dem Dorf unter dem Grillparz las dem Liebespaar aus dem Lamandergrund aus der Schrift des Parmenides von Elea vor: „Über das Sein“, rund 500 Jahre vor Christus. Elisa und Tom saßen in einer der steinernen Reihen des kleinen Amphitheaters von Palea Epidauros, hielten sich umschlungen, waren gespannte Aufmerksamkeit, jenseits der Orangengärten lag das Meer silbern und wellenlos.
Ihr seht, sagte der Freund, es ändert sich nichts. Die Menschen stehen auf der Erde, sie schauen in den Himmel und sie möchten wissen, wie alles entstanden ist. Jede Zeit stellt die gleichen Fragen, jede Zeit gibt andere Antworten, die als Wahrheit gelten, bis sie widerlegt werden und wiederum von neuen Wahrheiten abgelöst werden. Parmenides war der Erste, der zwischen aletheia , Wahrheit, und doxa , Meinung, unterschieden hat. Das finde ich sensationell …
… Darum muss alles leerer Schall sein, was die Sterblichen … festgelegt haben, überzeugt, es sei wahr: Werden sowohl als Vergehen, Sein sowohl als Nichtsein, Veränderung des Ortes und Wechsel der leuchtenden Farbe …
… und so suchen und finden wir Geschichten für unsere Welt und erfinden uns selbst darin, wir deuten uns und deuten uns um, sind nimmermüd und bleiben erschöpft zurück, um nach kurzem Schlaf von vorne zu beginnen. Und ich frage euch, fuhr Parmenides fort: Was ist Wirklichkeit und was ist Schein? Und was die Meinung über diese und jenen? Weiß ich, wer du bist, Elisa? Und wer du, Tom? Und welche Geschichte ich dir geben würde, wenn ich über dich schriebe? Du würdest unten stehen hier im kleinen Theater des Hafens von Epidauros – nicht oben in den Waldhügeln im weltberühmten Heiligtum des Hippokrates –, du würdest eine Maske tragen, stündest auf Kothurnen und ich könnte dich deuten mit aller Sorgfalt und aller Zuneigung, aber dennoch so, wie ich dich sehe: vergrößert, verkleidet und unerkannt. Ich könnte dein Leben beschreiben als analytische Biografie oder ich könnte es erfinden oder beides mischen. Letzten Endes wird dir keine Form gerecht. Jeder bleibt das Geheimnis, das er ist …
Drei Wochen im Land des Lichts. Es war ein aus dem Äther herausgeschnittenes Stück Leben. Sie wanderten auf den alten Saumpfaden von Dorf zu Dorf, tranken café grec unter riesigen Platanen, fuhren über Land und fotografierten die dorischen Tempel, über die Parmenides einen Lichtbildervortrag zusammenstellen wollte. Elisa führte Protokoll auf ihrem Laptop. Tom machte Notizen für einen poetischen Text, der Architektur, Geschichte und Landschaft verbinden sollte.
Selbst die Schluchten, die sie entlangwanderten oder auf steinernen Brücken überquerten, waren hell und lichtdurchflutet. Tom schien es, als ob der Lamandergraben ein böser Gedanke des Hades wäre, des Gottes der Unterwelt.
Die Nächte gehörten dem Paar allein.
Und einmal, nach der schnellen Morgenliebe, sagte Elisa: Ihr braucht nicht zu philosophieren, wer wir sind. Wir sind. Das genügt. Ich bin nicht Schein und bin wirklich und bin auch nicht deine Meinung über mich. Es ist unser Jetzt und ich spüre deine heiße Haut, verderbt es nicht durch einen Sinn, der ebenso wechselt wie das Wetter über dem Grillparz. Gib meinem Körper keinen anderen Sinn als den, ihn zu lieben. Oder dich zu lieben.
Und da stand sie vor ihm. Durchlief ihn, spitze Kristalle überall. Sie hat recht, dachte er und würde später daran denken und es gegen sie verwenden, als sie von Zukunft sprach. Aber jetzt stand sie vor ihm, ihr langes Haar als Verlockung, es zu greifen, zu reißen? Schweißperlen rollten langsam über ihren Bauch, sie stand da mit ihrer eigenen Geschichte und ihrer eigenen Zeit, die viel länger war als ihre gemeinsame, mit ihrem ersten Schrei und den Spielen der Kindheit, mit den Ängsten der Dreizehnjährigen und später mit den Verwirrungen ihrer ersten Liebe, die nicht er gewesen war, stand da mit Niederlagen und Erfolgen, mit etwas Tröstendem in ihren Augen und mit der Zärtlichkeit und Vertrautheit, die nur in langen Jahren entsteht, und er wusste, dass er sich an diesen Augenblick erinnern würde für immer. Und er zog sie zu sich, bis Parmenides sie weckte.
Einmal kamen sie zum
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