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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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Kirchlein von Agios Nikolaos, hoch über Kardamili. Einsam stand es da, versperrt, ein zu Stein gewordenes Gebet seit Jahrhunderten. Vom nahen Dorf hörte man das Bellen von Hunden. Ein Esel wartete unbewegt in der Sonne. Traubenhyazinthen wuchsen zwischen den ausgetretenen Stufen.
    Im Schatten der Apsis stand ein ausladender Olivenbaum.
    Unter seinen Zweigen lag Bruce Chatwin, Dichter und Weltenforscher.
    Hier war seine Asche verstreut worden.
    Hier war sie zu Erde geworden.

14
    Im Tal rollten die Züge.
    Das Leben spielte Vielfalt.
    Über den Grillparz zogen die Wolken.
    Der Lamanderbach höhlte.
    Ein Mann befestigte dessen ausgeschwemmte Ufer.
    Rührte im Innenhof eines Hauses Fertigbeton in einen Kübel mit Wasser.
    Befestigte an der Scheunenwand Schilder: Umleitung – Städt. Bücherei – Metaxa.
    Ging in Sitzungen.
    Kam von Beschlüssen.
    Schrieb Gedichte und verwarf sie wieder.
    Unterrichtete in Fortbildungskursen Deutsch für Immigranten.
    Gab Englischkurse für den Gewerkschaftsbund.
    Hielt Vorträge beim Mesnerwirt über Literatur und Geschichte.
    Initiierte im Schulzentrum von Kolness mit befreundeten Lehrerinnen und Lehrern eine Arbeitsgruppe, die in Interviews Zeitzeugen befragen und die Ergebnisse veröffentlichen sollte: zum Todesmarsch der Juden 1945 durch das Tal unter dem Grillparz und zum Umfeld des Mordes an Anjuschka, an dessen Beispiel sie für Jugendliche transparent machen wollten, welch tödliche Dynamik entsteht, wenn sich sexuelle Begierde und religiös-politische Vorurteile verbinden, damals und heute.
    Plante ein offenes Diskussionsforum für die dümmste und die klügste politische Entscheidung jedes Vierteljahres.
    Verbeugte sich vor applaudierendem Publikum beim Popkonzert auf Burg Röthelstein.
    Fuhr zu einer Ausstellung nach Straßburg zum Aufbau von Florians Gartenhäusern und flog, da ein Arbeiter krank geworden war, als Notnagel nach Korea zur Montage der großen Glasfenster für die neue katholische Zentrale in Seoul.
    Besuchte seine Mutter und brachte ihr Pralinen.
    Rief den Vater an.
    Schickte den Kindern von Karin ein Päckchen mit Nüssen aus dem Garten.
    Ließ sich zum Hubstapler-Fahrer ausbilden.
    Betrieb einen kleinen Handel mit Büchern.
    Du könntest reich werden, sagte Mikram, wenn du deine Duplikate verkaufst, die Bücher wachsen dir sowieso schon durchs Hirn.
    Dieser vagierende Thomas N. Streunte durch Tätigkeiten und Ideen, durch die Absurditäten des Alltags, wie er ist und wie er sich ihn gestaltete.
    In der Dorfgemeinde und im Bezirk war er gut eingebunden. In den meisten Gremien zählte er zum Kern von Projektentwicklungen und die Bürgerliste stellte ihn zur Wahl in den Gemeinderat auf. Die Redaktion der Dorfzeitung lag fast ausschließlich in seiner Hand. Er schrieb Vorworte, Glossen und ausführliche Untersuchungen, von der „fairen Milch“ über Abfangjäger, atomfreien Strom bis zu abgasfreier Luft. Er schrieb mit Witz, Aggressivität und dennoch ausgleichender Diskussionsbereitschaft.
    Unnachgiebig war er allerdings gegen neofaschistische Umtriebe, beredt schreibt er darüber in seinem weichen Letter -Heft. Er plante, Mitglied des „Mauthausen Komitees“ zu werden, und sagte einem Politiker aus dem Nachbardorf, der auf Facebook vorgeschlagen hatte, „das kanakengesindel ins kurhotel auschwitz“ umzusiedeln, den Kampf an. Da es in diesem ländlichen Raum kaum jüdische Mitbürger gab, richtete sich der Angriff vor allem gegen die tschetschenischen Asylwerber, die vor einigen Monaten hier Unterkunft bekommen hatten und für die sich die umliegenden Gemeinden um Integration in Schule und Gesellschaft bemühen sollten. Tom versuchte einen Rücktritt des Politikers zu erreichen. Vergeblich. Der Mann nannte sich KaO Richter – es war eine Verballhornung von k. o., jedoch nach der deutschen Aussprache geschrieben. Die Bedeutung war dieselbe: Niederschlagen, Fertigmachen. Alles muss deutsch sein, sagte KaO, und muss wieder großdeutsch werden. Man wusste, dass er zu Hitlers Geburtstag mit seiner Schlägertruppe auf den Obersalzberg bei Berchtesgaden fuhr, um dort heimlich zu feiern.
    Nein, „faul“ konnte man Tom nicht nennen. Nimmt man die Gesamtheit seines Tuns, würde es für ein ganzes Leben reichen, sagte Roberta.
    Für mehrere Leben, sagte Mikram.
    Es hat nur vieles die erste Begeisterung nicht überlebt, sagte der Bürgermeister.
    Er war ein gläubiger Mensch, sagte Virgil.
    Er war Indiana Jones, sagte Lucia.
    Er hat nicht einmal zwei Jahrzehnte

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