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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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Weltbild integrieren, aber ich kann es halt immer noch nicht fassen, dass nicht alles so bleibt und sich noch steigert. Da ist mir der Johannes wieder einmal voraus: „Alles verfault, denn alles ist Natur.“ Genau davor habe ich einen Horror, aber ich weiß natürlich, dass es so ist.
    Und das möchte ich auch ohne metaphysische Rückversicherung so sehen können, auch wenn mir das widerstrebt. Aber so stark wäre ich gerne.
    Vor Jahren hab ich mir einmal ein schönes Konzept zurechtgebastelt: Wenn es Gott nicht gibt, oder irgendwas Jenseitiges, Wiedergeburt etc., dann sterbe ich, verfaule, gehe auf in Natur und bin hin und weg. Das ist nicht schön, aber in Ordnung. Finito, aus und vorbei. Aber wenns was anderes gibt, sprich: ewiges Leben, dann bingo. Also warum dann nicht auf Teufel komm raus glauben, blamieren kann man sich eh nicht, denn falls alles aus ist, fragt auch keiner mehr. Wenns aber irgendwas gibt, dann war man schon immer dabei.
    Inzwischen bin ich bescheidener geworden: Falls Gott existiert, sollte er stolz sein können auf das, was ich tue, ich meine, in der Gemeinde. Falls nicht, dann bin ichs.
    Ciao, pater,
    Tom
    *
    Von Stolz konnte keine Rede sein. Die Wochenenden allein im Lamandergraben waren unerträglich. Wenn er nicht bei einem Konzert auftrat oder bei Lucia und Florian zu Gast war, fuhr Tom ziellos von Flohmarkt zu Flohmarkt, fuhr durch Städte und Dörfer. Übernachtete im Auto. Ein Wolkenbruch als Schlagzeug auf dem Dach. Kam wieder einmal zur gelben Wallfahrtskirche mit der Schutzmantelmadonna. Zuletzt war er mit Reinhold hier gewesen. Der Gastgarten war immer noch angenehm. Aber das Gesicht der Muttergottes kam ihm heute nicht wirklich liebend vor. Als ob sie jemand zum Schützen gezwungen hätte oder sie langsam ernüchtert wäre in ihrer Aufgabe.
    Dennoch trug er ihr Bild in die nächsten Tage. Und langsam, er wunderte sich selbst, begann er, Marienstatuen und -bildnisse aufzusuchen oder zu sammeln. Nicht die berühmten, eher die kleinen, unscheinbaren, die irgendwo im Abseits stehen und zu denen die Menschen in Innigkeit beten. Die Heilige Jungfrau von Karmel stand plötzlich in seinem Kopf, damals in Fažana mit Violetta, als sie beide nichts als Lust und Lebensgier waren, auf der Piazza war das große Fressen im Kroko-Drive, das Telefonieren ohne Scham, die Boote im Hafen schaukelten auf und ab, und sie beide waren in ihrem Zimmer und irgendwann waren sie wieder draußen und sahen diese Maria in dem geduckten Kirchlein, ein Steinbau aus dem 14. Jahrhundert, immer tiefer in die Erde eingesunken im Lauf der Zeiten, diese Maria, klein, sehr zart, sie stand in einer hässlichen weißen Nische aus Plastik, die brutal in das romanische Gestein gehauen war, sie war fragil, auch das Kindlein war winzig, nur die Krone Mariens war riesig, golden und vor allem Zeichen der Macht, die die Menschen ihr zuschanzen – –, Violetta, was ist aus ihr geworden?
    Und begann, von einer Maria zur anderen zu fahren oder sich ihre Gnadenbilder zu besorgen. Maria der Auslöschung – Maria vom Sieg – Maria im Kirschgarten – Maria im eisern Gattern auf dem Anger – Maria vom Loskauf der Gefangenen …
    Er lachte über sich, wie war das möglich, und wieso Maria, er war doch in der Comunità bei Jesus Christus gewesen, und wieso überhaupt eine Heiligenfigur, er liebte doch den Esprit, liebte französische Philosophen, russische Romanciers, amerikanische Storyteller und österreichische Sprach-Experimentierer, liebte Psychologie und Philosophie, Derwische und Schamanen, Parodien und Burlesken, warum also eine Heiligenfigur, brauchen wir immer Bilder und die Geschichten, die wir uns dazu erfinden, und er dachte an seine einsame Maria im zugigen Gang des Stifts, so hat es angefangen, er weiß nicht, warum, er will nicht sammeln, will einfach nur schauen, in das Gesicht dieser Frauen schauen, dieser Absurdität der Jungfräulichkeit mit dem Kind, aber es tut ihm gut, er steht davor und ist nicht allein, vielleicht ist es Rache, er betrügt mit der Mutter den Sohn, es ist eine Liebesaffäre mit Eifersucht, die Männer sind in der Überzahl auf allen Bildnissen, aber die Kerzen brennen bei Maria.
    *
    Aber die Literatur. Sie war das Kontinuum über alle Dunkelheiten und Lächerlichkeiten hinweg, für sie lebte, dachte und schrieb er. „Während wir Einspruch erhoben im Namen des Machbaren“, formulierte es Matthias in der Dorfzeitung , „beschämte er uns mit dem Charme seiner verwegenen Utopien.“
    Ein

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