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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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Matthias.
    Hingabe, Verweigerung und die Mühen der Aufklärung … Kein Weg war Tom zu weit, er fuhr zu Lesungen und Diskussionen nach Salzburg, Wien und München, zu Michael Guttenbrunner und Jacques Derrida, zu Michael Ondaatje und Ulrike Draesner, die Liste ist lang. Nichts war ihm zu unwichtig, er schrieb mit gleicher Ernsthaftigkeit über Albert Camus, einen Ratgeber für Hausfrauen zum bewussten Einkaufen oder eine böse Glosse über die neuen Lehrtafeln auf dem Weg zum Grillparz, deren „Esoterik- und Wellness-Terminologie, bei der einem Hören und Sehen vergeht!“ ihn ärgerten.
    Na ja, um alles müsst’ er sich nicht kümmern, warf einer der Jungen bei einer Sitzung des Literaturladens ein, bei der Tom fehlte, es ist ihm ja wirklich nichts zu blöd –
    Er kehrt halt direkt vor unserer Tür, verteidigte ihn Elfriede, das will ja sonst niemand machen, du schon gar nicht –
    Sollt’ er lieber vor seinem Bauernhaus tun, das kracht bald zusammen –
    Liegen ja nicht immer auf dem Weg, Toms Themen, sagte Elfriede und drehte die Räder ihres Rollstuhls Richtung Tür, hat ja zum Beispiel auch über das Schicksal der Leute aus unserem Dorf geschrieben, die durch die Aktion T4 gegen „lebensunwerte Menschen“ ermordet worden sind, oder –, und –
    Und immer diese Animation zum Tun und zum Jetzt , gab ein anderer Neuling dem ersten recht, irgendwie geht mir das auf die Nerven.
    Und jeder x-Beliebige kann jeden Vorschlag machen, aber die Welt wird auch nicht besser, indem jeder Idiot sie verbessern will –
    Im Kritisieren seid ihr beide stark, stellte Matthias fest.
    *
    Was Tom zu Hause schrieb und dachte, wenn die Dissonanzen in den Saiten hingen und man im Grau des Nebels keinen grauen Engel finden konnte, ist nicht zu wissen. Der Lamanderbach schickte gleichmütig sein Wasser in den Wildgänseweiher und weiter in den Fluss und immer weiter,
    und Tom mischte ein Dorfleben auf wie nebenbei, es ging ins Leere und es gelang, je nachdem, aber er gab ein Beispiel, das über den Tag hinaus wirkte. Erhob den Einspruch des Poetischen gegen die traurigen Verhältnisse des Realen, lebte die Skepsis gegen simple Kausalitätsordnungen, und war, so Matthias, „dem Streit nicht zugetan, der Umarmung mehr und dem Liebkosen, wenn es um Gedanken ging“.

30
    Den Grillparz hinauf, den Grillparz hinunter. Durch Dickicht und Unterholz, über Lichtungen, Felsrippen und Hirschsuhlen. Über Lianen und Disteln, Schachtelhalme und Farn. Bombentrichter waren noch zu sehen, dicht überwachsen als ebenmäßige Mulden, er legte sich hinein in das Moos. Kampfflieger der Alliierten hatten sich hier auf dem Rückflug zu ihren Stützpunkten ihrer ungebrauchten Last entledigt. Die Salamander lagen schlafend in den Erdhöhlen. Tom ging über die freien Wiesen. Hörte die Grillen. Grillparz . Diese absurde Trias: Grillen – Parzen – Grillparzer. Darüber sollte ich schreiben, dachte er, darüber möchte ich mit Parmenides reden. Er ging an dessen Haus vorüber. Wagte nicht, anzuklopfen. Schrieb dann einen Brief.
    Das brachte ihn zum Freund zurück.
    Denn jetzt, als es schien, dass Elisa ihren Weg gefunden hatte, wurde Parmenides wieder zugänglich. Elisa hatte in Kolness eine Wohnung gemietet, die im obersten Stock eines neuen Gemeindebaus lag, sonnig, trocken und warm. Kein eiskaltes Bad, kein monatelanger Schattenwinter. Sie hatte sich einen neuen Bekanntenkreis geschaffen. Beruflich wuchs ihr Aufgabenbereich, der Notar schickte sie auf Fortbildungskurse. Sie schien sich gefasst zu haben und eine neue Beziehung eingegangen zu sein. Nach dem langen Schweigen war Parmenides erleichtert, Tom auf dessen Brief antworten zu können: „Komm doch morgen vorbei.“ Er hatte den Jüngeren vermisst. Schrieb: „Von Grillen versteh ich nichts, einiges allerdings von Parzen und Grillparzer interessiert mich.“
    Grillparzer, verstehst du, Parmenides, war ja nicht immer nur der alte Griesgram, als der er dargestellt wird, war auch einmal jung, revolutionär, hat große Themen angepackt, wollte –
    Nein Tom, nicht schon wieder, nicht schon wieder ausweichen und weg von Juan de Mariana und dem Tyrannenmord, bleib bei deinem Thema. Stauffenberg ist derzeit dringlicher. Heb dir diesen verkannten Grillparzer für deine nächste Arbeit auf, aber jetzt, Tom –
    Zögernd begann wieder die eine oder andere Debatte, ein Nachschlagen und Zitieren her und hin. Roberta wird im Stillen die Annäherung gefördert haben. Die alte Vertrautheit zwischen den

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