An diesem einen Punkt der Welt - Roman
er sich schonen. Die Rechnung bekomme er nach Österreich geschickt.
Es war ein Schock.
Sekundenschnell die Kippe des Lebens.
Aber der Schreck hält nicht lange an.
Es bleibt nur eine große, dann eine kleine Dankbarkeit.
Dann kommt die Normalität.
Am Campground – nie hat Tom in diesem Seenland bisher ohne See übernachtet – spricht ihn ein älterer Mann an. Er erzählt, dass er mit seinen sechsundsiebzig Jahren noch mit den Erntemaschinen über seine Felder fährt, deren Grenzen er nicht sieht, auf Knopfdruck erntet die Maschine das ganze Feld, da könnte er dazwischen schlafen, nur beim Wenden muss er einen anderen Knopf drücken, alles über Satellit, er arbeitet auf John Deer … Und Tom trinkt sein Coke und die waldbegrenzten Wiesen des Grillparz ziehen durch seine Erinnerung, die kleinteiligen Felder im Tal und die etwas größeren auf den Hügeln jenseits der Autobahn, der Mann würde fragen, was das sein soll, er würde sie als Fußabstreifer für seine Ländereien betrachten … Und im Winter, sagt der Mann, wenn der Jetstream über Manitoba und Saskatchewan fegt und eine Schleife zieht, hat es bis zu minus 40, 45 Grad Celsius, dann verbringt er vier Monate in Texas oder im Süden Arizonas mit dem Motorhome. Wenn bis Mitte Juni durch Schlechtwetter nicht angepflanzt werden kann, wie in diesem Jahr, bleibt das Feld brach, dann zahlt die Versicherung, darauf haben derzeit viele gewartet.
Am gegenüberliegenden Ufer des Sees tollen Kinder so übermütig im Wasser, es klingt, sagt Toms Nachbarin, die mit ihrem Mann von Quebec nach Alaska unterwegs ist, es klingt, as if somebody would be murdered.
Tom bleibt lange auf dem hölzernen Bootssteg, legt sich flach auf das noch warme Holz. Die Sonne sinkt, die Wellen treiben vom Ufer weg ins Offene hinaus, sie treiben ihn in den Lamandergraben, der Steg schwankt leise, er zieht, treibt ihn nach vorne oder zurück, Tom hat die Richtungen verloren und wenn er die Augen schließt, regnet es Ströme von Licht auf seine Wimpern, Lichtregen über ihm,
kann Nähe auch zu viel werden, wann hat das begonnen, dass ihn die kleinen Gesten an Elisa – ja, hier in der Ferne kann er den Namen wieder leise vor sich hin sagen – zu stören begannen, dass er die Art, wie sie Salat mischte oder einen Filzschreiber hielt, nicht mehr so mochte wie am Anfang, in allen Liebesromanen kommt das vor, er hat immer gelacht darüber, über diese Zahnpastatuben-Szenen, die sich wiederholen, aber Leben hat seine eigenen Gesetze, die sich ebenso wiederholen,
und wie ging es ihr, wie kam diese leichte Verachtung in ihre Augen, die ihn aus sich herausriss, wann hat das angefangen, dass sich da und dort das Schweigen und die Nüchternheit einnisteten, und die nie enden wollende Sehnsucht nach dem Nebenbei der kleinen und dem Mittendrin der großen Berührungen nachließ, dass es zwischen ihnen tot wurde, auch wenn sie miteinander schliefen, selten, ganz selten, ja, aber doch, wie kam es, dass sich diese leise Entfremdung ausdehnte, die sie nicht wahrhaben wollten,
Elisa, was haben wir falsch gemacht, jetzt wächst das Kind eines anderen in dir und ich weiß nicht, wie es dir geht.
Tom würde gerne reden mit ihr, ja, jetzt wäre er bereit dazu, warum war diese Unbedingtheit des Unverzeihlichen in ihm gewesen? Seit er hier in diesem weiten, offenen Land ist, seit er immer weiter fährt und wegfährt von ihr, kommt er ihr näher,
he wants to write a love song / an anthem of forgiving / a manual for living with defeat … , ja, ein Liebeslied schreiben, eine Hymne des Verzeihens, eine Anleitung für das Leben mit der Niederlage, auch Leonard Cohen kann gute Lieder schreiben,
er liegt auf dem Bootssteg und denkt an Elisa, liebt sie, ist craving for her , das kann man im Englischen besser sagen, sagt er sich, dieses die ganze Existenz ergreifende Bitten und Flehen, er hat es auf den Mondsteinen vor den buddhistischen Tempeln in Sri Lanka gesehen, damals, als sie auf den Adam’s Peak gestiegen waren: Der dritte, mit Blütengirlanden geschmückte Halbkreis auf den Mondsteinen bedeutet dieses intensive Flehen um Erleuchtung, um die Erkenntnis dessen, was jenseits des Realen liegt, und hat Liebe nicht beides, ist dies- und jenseits,
und als er sich umdreht, steht der zunehmende Mond weiß im kobaltdunklen Firmament, die Silhouette der Hügel ist ein Wandern auf Messers Schneide, der Himmel wird durchscheinend. Der See silbern. Dieser seltsame, stille Abend … Ist das Unerwartete schöner
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