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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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wollen, in diesen Ort mit den beiden langgezogenen Vokalen, dumpf wie Nebelhörner,
    aus dem Dumpfen und Dunklen kommt er ja selbst, von dort will er ja weg, wie er jetzt plötzlich auch von Duluth wegwill, von dieser Stadt am Ende oder am Anfang des Lake Superior, diesem Duluth, das zwar in Dylans Vita steht, aber er ist doch kein Geburtsortpilger, kein Geburtsortfetischist, schon gar nicht, wenn einer nur irgendwo geboren, aber woanders aufgewachsen ist, mit sechs Jahren schon kam Dylan nach Hibbing, ja, Hibbing vielleicht, das würde mehr hergeben, aber Hibbing interessiert ihn leider nicht, das Wort hat für ihn keinen Klang, wie Wels oder St. Pölten, nach Hibbing zieht es ihn nicht, vielleicht ist das ein Fehler, sicher sogar, aber Dylan war on the road , auf der never ending tour , Duluth lockt ihn jetzt nicht mehr,
    getrennt von der Person, die dort das Licht der Welt erblickt hat, hat der Name auf einmal keinen Zauber mehr, nicht wie Worte mit Ypsilon, wie Wyoming oder beyond, und andere Bilder drängen sich vor, andere Worte,
    plötzlich ist Saskatchewan da,
    das Wort mit den hellen Vokalen und den hellen Vorstellungen,
    der Kindheitstraum von offenen, gelben Weizenfeldern und windtrockenen Plains, Saskatchewan –
    wieder ein Ziel, das Duluth doch gewesen ist, nicht erreichen?
    wieder knapp davor aufgeben?
    … there is no success like failure –
    Und Tom nimmt den Rand McNally vom Nebensitz: Von Thunder Bay geht es südwestlich auf dem Highway 61 den Lake Superior entlang nach Duluth, leicht nordwestlich auf dem Trans Canada Highway nach Kenora, das schon nahe der Grenze zu Manitoba liegt, auch das ist ein Sehnsuchtswort, ein Sehnsuchtsland, Manitoba müsste er durchqueren und dann, ja,
    dann wäre er in Saskatchewan,
    in Säs-kä-tsche-wan …

32
    On the road again.
    Räder, Containertrucks und er.
    Er ist auf dem Weg nach Kenora.
    Immer noch Ontario. Seit er von Toronto aufgebrochen ist, fährt er durch Ontario, wie endlos ist dieses Kanada, wie fremd wird er sich selbst oder fährt er sich entgegen? Kolonnen von Pick-ups auf der Gegenfahrbahn. In allen sitzen Männer in dicken Pullovern, alle lachen, oft sind halbwüchsige Buben dabei, auf den Ladeflächen ist Zeug aufgetürmt, Stangen, Futterale, Kübel, Kühlboxen, Stiefel. Die Menschen scheinen ein einziges Gelächter zu sein, er kann es fast bis in das Wageninnere hören.
    In English River – diese Ansiedlungen mit Ortsschildern bestehen meist nur aus einem Supermarkt, einer Tankstelle, einer Handvoll Häusern, die man in der Mitte teilen und von einem Overloader woandershin führen lassen kann – findet er endlich eine Bar für ein spätes Frühstück. Bis auf einen Mann ist sie leer. Die Wirtin ist am Abräumen, Gläser, Tassen, Teller, Aschenbecher und Plastikbecher zuhauf. Er bestellt sich an der Theke zwei Eier overturned , Schinkenspeck, hash browns und Kaffee.
    An der Wand hängen vergrößerte Fotos von Fischern mit ihrer Riesenbeute in Händen, die Fische sind fast so groß wie sie selbst, so klein die Forellen des Lamanderbachs, so dünn die Karpfen und Hechte des Weihers. Viele Männer feiern an diesem Wochenende einen verspäteten Vatertag, sagt die Frau, die ein Halbblut sein dürfte, ihre Haare sind schwarz und glänzend, ihr Teint aber hell, am Vatertag gehen die Väter mit ihren Söhnen nachtfischen – wenn die Jungen das erste Mal mitdürfen, ist es wie eine Initiation, jetzt gehören auch sie zu den Männern. Und dann kommen sie alle zu mir zum Frühstück, du siehst ja, wie es hier ausschaut, und das ist nur der Rest, das sind die dritten oder vierten Teller. Jetzt fahren sie nach Hause und werden ihren Frauen und Müttern das Blaue vom Himmel erzählen –
    Sie fahren nach Hause … Alle fahren sie nach Hause … Haben wir je Vatertag gefeiert? Tom schaut auf die Fotos. Lachende Jäger. Bären als Beute. Die Tiere sind an den Hinterbeinen aufgebunden, sie bluten noch für das Foto, ein Jäger hat dafür die Vorderpratzen in die Hand genommen. Ein anderer hat seinen Fuß auf ein liegendes Tier gestellt, ein riesiger Braunbär, auch ihm rinnt noch Blut aus dem Maul.
    Tom kennt keine Fotografien seines Vaters als Jäger.
    Nie hat der Vater von seinen Abenteuern erzählt.
    Hatte er keine Phantasie für Jägerlatein oder schämte er sich für das Töten?
    Kenora, die Grenzstadt.
    Und dann: Manitoba.
    In der Sprache des Volkes der Ojibwa und der Cree bedeutet ein Wort, wie in allen indianischen Sprachen, immer mehr als nur ein

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