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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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Wort, immer eine geheimnisvolle Erzählung zwischen Diesseits und Jenseits: Im Aneinanderschlagen der Kieselsteine am Ufer des Lake Manitoba, so heißt es, würden die Menschen das Schlagen der Trommeln durch einen Manito hören und nur wer bereit sei, könne es vernehmen.
    Tom war bereit. Er hört das Reiben und Rollen der Kiesel, das Rollen der Erinnerung, er fragt nach dem, was sie ihm sagt. Liegt in seinem kleinen Autohaus im Schlafsack, der wärmt. Hört die Laute von draußen, die plaudernden Menschen, das Abwaschen von Geschirr, das Ankommen später Wohnmobile.
    *
    Dann Winnipeg, Manitobas Hauptstadt. Und hier, in diesen offenen und belebten Straßen einer langsam gewachsenen Handelsstadt, in der die Menschen miteinander zu tun haben, Geschäfte machen, sich Liebesworte zuflüstern, von zu Hause kommen oder nach Hause gehen, bekommt er plötzlich einen Schlag, schlägt auf seinem Herzen jemand die Trommeln. Er spürt, was ihm fehlt, seit er das Grillparzland verlassen hat. Zurücklassen. Das sagt sich leicht. Wird ihr Kind sich gut entwickeln? Wird es schon zu ertasten sein, sein Strampeln durch die Decke des Bauches? Wie war das, als es gezeugt wurde? War es Nacht? Morgen? Wo? Und wer, ja, wer war der Vater? War er grob, zärtlich, löschten sie das Licht oder wollte er sie sehen, hatten sie etwas getrunken, ein One-Night-Stand oder mehr, wollte sie das Kind, hatte sie Durst nachher, duschten sie zusammen, strich er ihr das lange Haar aus dem Gesicht …? Es höhlt ihn aus. Lassen, hinter sich lassen, weitermachen –
    Manitoba Museum of Man and Nature , Fauna, Flora, Geologie, Besiedelung, er informiert sich beflissen und versucht, sich zu konzentrieren: Lebensarten der Ureinwohner und der Siedler, Bau der Eisenbahnen, Pelzhandel der HBC, der Hudson’s Bay Company , die im 18. und 19. Jahrhundert alles beherrschte, die Länder, die Indianer, die Trapper, den Handel. Er lernt, er weiß zu wenig von dieser Geschichte, er hat nur als Kind einmal ein paar Bücher gelesen von diesem Teil der Erde und die Bilder sind ihm geblieben als Versprechen.
    Kauft sich neue Bücher.
    Das über Big Bear , den letzten großen Häuptling der Plains Cree , beginnt er sofort zu lesen. Fährt weiter in den Norden.
    Flaches Land. Die Great Plains , die Ebenen, die er sich in goldenem Gelb imaginiert hatte – sind grün. Die Halme erst am Anfang ihres Wachstums. Über weite Strecken schlammiges Braun. Viele Felder sind noch gar nicht bestellt, alles unter Wasser, die junge Saat ersoffen, ein trauriges Bild. Seit Jahrzehnten, sagen die Leute, hat es nicht so viel geregnet.
    Den Osten nannten die Indianer „Anfang“, den Süden „Reife“, den Westen „Untergang“, den Norden „Weisheit“. Ist er zur Weisheit unterwegs? Er hastet weiter, gibt es ein Ziel, das ihn lockt? Steinmännchen stehen entlang des Highways. Er weiß, es sind Markierungen für Jagdstrategien, Navigationshilfen für Wasser- und Wegverläufe oder Erinnerungen an spezielle Ereignisse und Personen, kleiner Erdball, denkt er, denn die Steinmännchen stehen überall auf der Welt, auch auf den heimatlichen Almen und in griechischen Schluchten und … Die Indios tauften sie Inuksuit . Er würde sich gerne mit ihnen unterhalten.
    Dylan legt er jetzt nicht ein. Er hat sich Johnny Cash gekauft und Hank Williams. Auf seinem Stellplatz für die Nacht, irgendwo im Wald, lassen sich Raupen von den Fichten an spinnwebdünnen Fäden herunter, sie verfangen sich im Haar, er hängt an den Fäden, Marionette der Natur. Sein Pfeifevogel, der nur einen einzigen, langen Ton gibt, zählt ihm die Stunden, die verflossenen, die zu erwartenden. Die, die ihm bleiben?
    Nachts erwacht er mit starken Magen- und Bauchschmerzen, Krampf und Kolik. Tee hilft nicht, auch die Medikamente nicht, die er dafür mithat, es ist nicht das erste Mal. Nach Stunden lässt der ärgste Schmerz nach. Aber er entdeckt eine dicke Geschwulst im rechten Knie, der Unterschenkel ist steinhart, er weiß, das könnte eine Thrombose sein oder werden, auch das wäre nicht das erste Mal. Der Apotheker in Erickson, einem 87-Seelendorf mit einem weißen Holzkirchlein in der Wiese, schickt ihn nach Minnedosa in die Klinik, die Kreditkarte ist notwendig, alle sind nett, professionell, untersuchen das Bein, die Magenschmerzen sind weg, davon hat er gar nichts gesagt. Die Ärztin gibt grünes Licht, nur ein Flüssigkeitsdepot in der Kniekehle vom langen Autofahren, sagt sie, sie saugt die Flüssigkeit ab, heute müsse

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