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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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Sonntagsjausen auf dem Grillparz, von den Vögeln, die in den Wäldern nisteten, und von den trägen Feuersalamandern, die nach langer Trockenzeit und in ausgehungertem Zustand auch über schwächere Artgenossen herfallen. Erzählte von Elisa, die an den sonnigen Rändern des Uferweges Walderdbeeren gepflückt hatte.
    Vor ein paar Tagen hatte er sie von weitem in Kolness gesehen. Sie trug schon schwer an ihrem Kind. Bald würde es zur Welt kommen.
    Er suchte nach einem Wort für sich. Verwarf viele und blieb bei ausgelaugt . Wie die eingeweichte Wäsche in Großmutters Bottich am Weißensee.
    Er hatte zu viel erlebt in letzter Zeit.
    Zu viel, was keinen Lethe trank.

38
    Die nächtlichen Stimmen verstummten, wenn Tom morgens an den noch leeren See kam. Ohne Gäste war er eine dunkel tönende Bildschraffur. Das Wasser trug vielerlei Grün in Bahnen und Schleifen, manche silbrig schimmernd in der frühen Brise. Die Konglomeratwände am jenseitigen Ufer lagen teils noch im Schatten, teils leuchteten sie ockerfarben im ersten Licht. Die Bewegung des Schwimmens tat ihm gut, sie besänftigte sein Grübeln. Über die Eisenbahnbrücke, die sich über einen der Flüsse spannte, rollten die Züge.
    Wenn er nicht überfordert war, genoss Tom die neue Herausforderung. Ein stiller Protest gegen das verkehrte Leben und die darin gefangene eigene Existenz? Nein, nicht so große Worte, sagte er sich, sondern ganz einfach: Was er jetzt tat, war konkret, handfest und pragmatisch. Das hatte er gebraucht. Den Termin bei Professor Karlinger sagte er ab, in der Hochsaison konnte er nicht weg. Außerdem waren ihm Mariana-Stauffenberg in einem orkanartigen Sturm verweht und später hier im See ertrunken. Er wüsste nicht, was ihn nach dem Medicine Wheel und diesem Job am Badesee weniger interessierte, schrieb er in sein Letter -Heft. Wenn er noch einmal etwas vorschlagen könnte, was er aber nicht wolle, würde er zwei Alternativen angeben:
    1) Die Bildkraft in der Sprache der großen indianischen Häuptlinge und die Taubheit weißer Ohren, sie zu verstehen
    2) Was können wir voneinander wissen, ohne zu fragen
    Der Sommer ging hin.
    Immer noch Hitze, viel Arbeit.
    Es kam vor, dass ihn mitten im Kiosk Magenschmerzen überfielen, die sich in der ganzen Bauchhöhle ausbreiteten und sich bis in den Rücken zogen, dass er sich krümmte, sich auf der Pudel abstützen musste und Dominik oder einer der jungen Helfer besorgt fragte, was ist denn los, ist dir nicht gut, setz dich hin. Es vergeht wieder, es ist nichts, sagte Tom, ist schon wieder vorbei, vielleicht hab ich etwas Falsches gegessen. Aber er isst ja fast nichts, sagte Dominik abends zu Lucia und Florian, er isst höchstens einmal eine Semmel, er trinkt nur viel, meistens Bier. Auch die Mädchen, die ihn umlagerten, waren besorgt, sie brachten ihm Schokolade oder ein Stück Sonntagskuchen, er bedankte sich freundlich und sagte, später, vielen Dank.
    Parmenides und Roberta kamen abends manchmal an den See. Auch Matthias, er hatte sein langes Kraushaar geschnitten, eine Bürstenfrisur und, wie Mikram, eine neue Freundin. Roberta brachte warme Suppe. Mikram machte Ordnung auf den Kinderspielplätzen, Dominik und Mikrams Söhne im Kiosk. Eine kleine Lamanderrunde am See. Bevor es zu kühl wurde und sich die Dunkelheit über den unbedeutenden Ausschnitt einer großen Welt senkte, konnte man jemand Gitarre spielen hören.
    … Yeah, today has been a sad ol’ lonesome day
    I’m just sittin’ here thinking
    With my mind a million miles away
    *
    Ende August zogen schwere Gewitter auf. Selbst der kleine See war dann aufgewühlt und gab sich das Aussehen eines großen. Die Wellen waren hoch und schlugen an die Ufer, die Badegäste flüchteten in Toms Kiosk und das Restaurant, beide waren überfüllt. Alle, die ihr Auto nicht mehr erreichen konnten, suchten ein Dach über dem Kopf. Die Gewitter kamen schnell und unerwartet in dieser Bergenge, man sah sie nicht heranziehen, plötzlich war der Himmel schwarz und schwefelgelb, der Sturm fiel über die steilen Hänge, die beiden Flüsse und den Baggersee. Die Erlen bogen sich fast zur Waagrechten, leere Plastikflaschen, Chipspackungen und Kinderkleider wirbelten durch die Luft. Am schlimmsten waren die trockenen Gewitter, wenn die Blitze ohne Regen niederfuhren und die Gleichzeitigkeit von Entladung und Donner Menschen und Erde erschütterten.
    Anfang September lag Schnee bis in mittlere Lagen. Das Jungvieh und die Schafe wurden von den Almen

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