An diesem einen Punkt der Welt - Roman
ihm die weichen Felle von Polarfuchs, Biber, Hermelin und Wolverine hatte fühlen lassen, und wie sie ihn an der Grenze zum Pine Ridge Reservat geschlagen hatte beim Anblick der betrunkenen Frau, die ihr Symbol all jener Menschen war, die sie verloren hatte. Er sah ihre Bewegungen, wenn sie zu ihm in den Schlafsack kroch, sich ein Blütenbüschel des Sweet Clover ins Haar steckte und wie sie das Lenkrad hielt, wenn sie am Steuer saß, und sah sie, wie sie das kleine Ding aus dem Medizinbeutelchen des Rangers am Medicine Wheel in ihrer Hand barg,
und einmal, als Tom und Florian abends vertraut beim Wirt im Winkel saßen, erzählte Tom von dieser Frau, die er kennengelernt und die ihn zu einem anderen gemacht oder von der er glaubte, dass sie es getan hatte, und durch das Sprechen über sie war sie von ihm weggestellt und zugleich versichert, bezeugt im Mitwissen eines Freundes, von dem er wusste, dass es ihr beider Geheimnis bleiben würde,
und er sagte, seit ich zurück bin, kann ich das Wort „Elisa“ wieder ohne Groll aussprechen und nicht mehr verstehen, warum ich damals so borniert gewesen bin, das Leben ist ein Wankelmut, das hätte doch gerade ich wissen müssen, denn so viele Geschichten in so vielen Büchern handeln von diesem Undurchschaubaren, Widersprüchlichen, und die Dramen, die sich in ihnen abspielen, sind ja unser Leben, und darum können sie immer weiter und weiter erzählt werden, weil sich seit Jahrtausenden nichts daran geändert hat, dass die Menschen leben und lieben wollen und nicht glauben können, dass alles vergänglich ist.
39
Gesprächsthema im Dorf war der vom Graben noch immer. Vorübergehend arbeitete er jetzt als Maurer in der neuen Wohnsiedlung, die am Rand des Dorfes errichtet wurde. Ab Dezember wieder in der Firma von Leonhard, für die er das Holz alter Bauernhäuser ab- und in neue als Zimmerdecken oder Fußböden wieder einbaute.
Jetzt ist er wieder Parkettenfritze, weißt du das?, fragte die Frau des Mesnerwirtes ihre Freundin.
Hab ich gehört, ja.
Er bringt’s einfach zu nichts.
Vielleicht will er’s zu nichts bringen.
Was red’st du da.
Kann ja sein.
Jeder will’s zu was bringen.
Er hat vielleicht was anderes im Kopf.
Was denn?
Vielleicht denkt er einfach nach über die Welt.
Die EU vielleicht?
Nein. Gibt ja noch andere Ziele.
Welche denn?
Dass wir uns mögen und Frieden geben.
Dass ich nicht lach.
Aber dass alles besser wird, dafür tut er doch viel!
Na ja –
Sagt es ganz offen, wenn die Politiker lügen.
Vor allem der KaO Richter, der ist sein spezieller Feind.
Der sitzt aber fest im Sattel.
Dem kann niemand an, stimmt.
Obwohl sie in seiner Clique ein Waffendepot gefunden haben.
Und einen Haufen Hakenkreuzfahnen und Pläne für Anschläge.
Der KaO sagt, er habe nichts davon gewusst, der putzt sich ab und liefert seine Kumpels ans Messer.
Hat es nicht irgendwo vor kurzem einen Prozess gegeben, in dem die Angeklagten wegen Wiederbetätigung zu ein paar Jahren Gefängnis verurteilt worden sind?
Waren hoch die Strafen, ja, aber ist als Abschreckung gedacht, hat es geheißen.
Gibt es denn so viele davon?
Vielleicht schafft der Lamander-Tom das auch mit dem KaO, dass der vor Gericht kommt …
Sie redeten, prüften und kauften, alles war frisch auf dem Markt, der bereits zur Attraktion für die ganze Gegend geworden war. Die Freundin der Mesnerwirtin griff das Gespräch noch einmal auf.
Aber gell, die komischen Festln am Freitag im Lamandergraben gibt’s nicht mehr.
Schon lang nicht mehr.
Da waren unsere Kinder ja verrückt drauf.
Jetzt sind sie’s auf die Bahnhofswiesen.
Welche Bahnhofswiesen?
Na, der leere Streifen entlang der Gleise.
Noch nie davon gehört.
Hast ja keine halbwüchsigen Kinder mehr.
Organisiert das wieder dieser Tom?
Nein, das sind jetzt ganz andere, das ist schon die nächste Generation.
Mir kommt überhaupt vor, dass er ein bisserl aus der Mode gekommen ist –
Es ließ sich gut über ihn reden. Zuweilen mischte sich neuerdings etwas Milde ein, der Versuch, Tom zu verstehen. Der Herr Pfarrer predigte es, im Fernsehen hörte man davon, in den Zeitungen stand es, dass der Fortschritt um jeden Preis seine Grenzen hat, dass es auch andere Ziele geben muss als Ehrgeiz, Profit und Wirtschaftswachstum. So rosig war die Gegenwart nicht, der Börsencrash war auch im Dorf spürbar gewesen, da konnte man schon überlegen, ob man nicht auch anders leben könnte, so wie der, den alle den Büchernarrn nannten oder den
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