An diesem einen Punkt der Welt - Roman
Nerven gingen mit ihrem Gekicher und Großtun. Dann komme es schon vor, dass er einmal eine anfasste und wegstieß, um sie sich vom Leib zu halten. Grenzwertig, sagten die einen. Zu gutmütig, die anderen.
Die meisten aber schätzten Tom und suchten das Gespräch mit ihm. Badegäste, Fischer, Campingleute. Viele wunderten sich. Der Mann dürfte so gebildet sein, sagten sie, warum verkauft der Eintrittskarten an einem Baggersee? Der Linksintellektualistler ist Badewaschl geworden, sagte ein Mitarbeiter von KaO Richters Partei, der nach seinen Motorradtouren über die naheliegenden Pässe hier gerne seine Lederkluft ablegte, in den See sprang, im Kiosk einen großen Radler trank, die Umstehenden einlud, Tom anstieß und grinste. Manchmal möchte ich einfach ein großes rotes ‚shit‘ ins verlogene Himmelshimmelblau sprayen , steht im braunen Notizheft zu lesen. Später, als man einen anderen Pächter suchen musste, sagte Parmenides: Er hat immer das Leben in Gegensätzen gelebt. Nicht, dass er es gewollt hätte. Es hat sich so ergeben.
Tom hatte seine eigene Vorstellung für den See. Er mochte kein aufgeblasenes Aqualandia, keine Wasserrutschen und keine Eventkultur. Nur einen Beachvolleyplatz am abgelegeneren Ende des Sees. Wollte einen Erholungsraum für Familien, junge und alte Leute, die einmal ausspannen und nicht durch Lärm und Lautsprecher gestört werden sollten. Die Menschen sind genug gestresst, sagte er, und überall sonst werden sie mit Unterhaltungsprogrammen überfüttert, hier sollen sie Ruhe haben. Vielleicht auch einmal lesen. In der Kartenhütte beim Eingang hatte er eine kleine, feine Hand-Bibliothek eingerichtet. Auch den Roman über Big Bear stellte er dazu. Er schätzte das Gemisch aus unterschiedlicher Kundschaft, vielleicht würde er einmal schreiben darüber.
Einmal selbst schreiben, ja, das wollte er.
Vielleicht einen Roman über die Vergeblichkeit.
*
Schattenfluchten und Sonnenseen.
Dorfstraßenleere und Sommerfrieden.
Pfeifevogel und Salamander, kleiner Himmel.
Und auslöschen, was war?
Aber er war nicht Murau und war nicht dessen Schöpfer Thomas B., er ging nicht über die römische Piazza Minerva für einen Roman, Tom stand vielmehr in seinem Kiosk an einem Badesee in gebirgiger Gegend und da war die Welt ziemlich eindimensional und hatte viel vom wasserschweren Frischkäse, den er auf die Brote strich. Und alles Gelebte und Geträumte blieb in ihm, setzte sich ab, er hütete und bezweifelte es, er konnte das Unabschließbare nicht umwandeln in das Abenteuer einer bilderprallen Dichtung, einer Abrechnung, einer Auslöschung , die lebendig hielt, vielleicht sogar heiter machte, wie andere es konnten, wie er selbst es gekonnt hatte, bevor die Melancholie über den Lamandergrund gekommen war.
*
An heißen Wochenenden halfen ihm junge Leute aus dem Dorf, die Ferien hatten. Auch Mikrams groß gewordene Burschen mochten diese Arbeit und waren froh über einen Nebenverdienst.
Dominik war da. Mit Freude beobachtete Tom den jungen Mann, der an Selbstsicherheit gewonnen hatte und mit großem Interesse die Unterlagen studierte, die Tom ihm von den Ölbohrungen in North Dakota mitgebracht hatte. Aus den zerstörenden Erfahrungen mit Professor X. war ihm ein Bodensatz von Enttäuschung geblieben, eine Art Nüchternheit, die ihm den Schwung nahm, in sich und den Menschen etwas Überraschendes zu erwarten. Dominik plante, bis zum Ende der Badesaison zu bleiben, bevor er vor Beginn des neuen Semesters nach Rom aufbrechen wollte, um einen Italienisch-Intensivkurs zu machen. Rom sei seine Stadt, sagte er.
Einmal kam der Vater aus Kärnten zu Besuch. Er fragte nicht nach der Magisterarbeit. Er fuhr mit Tom an den See, ließ sich alles zeigen, war beeindruckt und sagte: Das hätt’ ich dir gar nicht zugetraut, Thomas. Großartig, wie du das machst. Das hatte der Sohn noch nie von seinem Vater gehört.
Aber Tom hatte den Arbeitsaufwand unterschätzt. Am Abend fiel er erschöpft auf sein Verandabett. Zu schnell zu viel. Es war ihm aufgefallen, dass andere so gesund, kräftig und fröhlich waren. Es fiel ihm auf. Das war neu. Im Kiosk hatte er oft kalte Schweißausbrüche. Morgens riss er die Eintrittskarten ab und abends zählte er das Geld, morgens kaufte er ein und abends war er müde und weiter auf dem verwirrenden Weg irgendwohin.
So schnell verflogen, die Zuversicht des Neubeginns?
Nachts hörte er dem Lamanderbach zu, der ihm von den Wochen erzählte, die er weg gewesen war, von den
Weitere Kostenlose Bücher