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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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abgetrieben. Eine Kaltfront hatte den Sommer jäh beendet, sie ging vorüber, aber die Hitze war gebrochen. Es folgten milde, klare Herbsttage. Der See war abgekühlt, die Schule hatte begonnen, es kamen nur mehr wenige Leute. Ein paar junge Mütter mit kleinen Kindern, ein paar Pensionisten, die mutig ins kalte Wasser stiegen und ihr Schwimmpensum absolvierten, um sich selbst zu beweisen, dass sie noch gut in Form waren. Es war eine stille, schöne Zeit. Tom las viel in seinem Kiosk. Über seine Buchhandlung in Kolness hatte er alles bestellt, was er über die Prärieindianer des Mittleren Westens entdecken konnte. Auf den Flohmärkten war darüber nichts zu finden. Aber Flohmärkte waren nach wie vor seine große Leidenschaft. Jetzt hatte er nicht Zeit dafür, sie würde im Oktober wieder kommen. Um den Literaturladen konnte er sich in diesen Wochen wieder intensiver kümmern.
    Die Abrechnung am Ende der Saison sah ernüchternd aus. Tom nahm sie genau, arbeitete sich in die Finanz- und Abgabenvorschriften ein und zahlte pünktlich. Die Pacht war hoch, ein kleiner Teil wurde ihm erlassen. Es blieb etwas Geld, aber nicht genug, um über den Winter zu kommen. Freunde sagten, er sei zu großzügig gewesen. Habe zu viele Leute ohne Eintrittskarte zugelassen, an Jugendliche zu oft eine Tüte Eis oder ein Sandwich verschenkt. Auch habe er die jungen Leute, die ihm halfen, zu fürstlich bezahlt.
    Mitte September schloss Tom den Badebetrieb.
    Der Oktober zog mit Glanz in den Lamandergraben und über die Wälder des Grillparz. Auf seiner Gipfelwiese begann die Wetterlärche zu gilben, das abgeerntete Land lag still zu ihren Füßen und am Wiesenrain blühten noch Bärenklau, Ackersenf, Flockenblume und Ehrenpreis und unentwegt viele Arten von Klee, Rotklee, Weißklee, Wundklee, Hopfenklee und Inkarnatklee …
    … Sweet Clover, Süßer Klee, der blühte woanders, inmitten von Ponderosa Pines, Sagebrush und Juniper Trees, am Fuße eines Berges, den die Indianer Mato Tipila nennen und die Weißen Devils Tower. Jener Klee war größer, büschelförmiger und leuchtender, er schluckte das Licht, um sich selbst erglühen zu lassen – knallgelb, feuerrot und karmesin. Er war mit seiner Geliebten im sonnenwarmen Gras an der menschenleeren Seite des Kletterberges gelegen und sie hatten vom Aufsteigen der Träume und vom Fallen der Meteoriten gesprochen. In der Ebene des Belle Fourche River waren vier Gestalten unterwegs gewesen, ausgerüstet mit Gesichtsmasken, Eisenflaschen auf dem Rücken und einem Sprühgerät in der Hand, das sie in halbkreisförmigen Bewegungen über das Gras schwenkten. Der Sweet Clover sollte vernichtet werden, erklärte ihnen später ein Ranger, er sei eingeschleppt und verdränge die indigenen Pflanzen.
    War er je in diesem Land eines Devils Tower gewesen? In diesem Land, wo es eine Frau gab, die den schönen Namen Aiyanna trug, was vereinfacht so etwas wie eternal blossom bedeutet, ewige Blüte? War es die Halluzination einer verzweifelten Kreatur, das Ergebnis einer kranken Phantasie? War es Flucht aus einer klaustrophobischen Lage, einer äußeren und einer inneren?
    Alles schien ihm so weit weg.
    Und mit größter Anstrengung versuchte er, sich die Bilder dieser Reise zurückzuholen, sie wieder und wieder zu sehen, zu riechen und anzugreifen, sie festzuhalten und zu fesseln, was heißt schon eternal ? Dann schien ihm wiederum sein Dorf- und Badeseeleben unwirklich und ein schöner oder ein böser Traum und er wusste nicht, wo er war und wo er sein wollte.
    Beyond.
    Alles war dort, wo er nicht war, und war er dort, wollte er hier sein.
    Er war jenseits seiner selbst.
    Er hatte nichts.
    Er wusste nicht einmal Aiyannas Nachnamen. Er hatte keine Adresse und keine Telefonnummer. Im Fort Carlton wollte er nicht anrufen. Er hatte Angst vor einer Gewissheit, vor dem Bild einer steilen Felswand, die jetzt nur eine Möglichkeit war. Er hatte ihr auch von sich selbst nichts hinterlassen. Es war nie ein Wort von Abschied gesprochen worden.
    Es war gut, dass Florian, Dominiks Vater, abends mitunter ins Lamanderhaus kam oder Tom vom Badesee abholte und sie gemeinsam den Tag ausklingen ließen. Florians Betrieb war erfolgreich, er exportierte seine Aluminiumhütten jüngst sogar in die USA. Sie sprachen viel von Amerika. Und durch das Reden wurde es für Tom wieder wirklich in den Verästelungen des Gedächtnisses,
    und Aiyanna stand vor ihm, wie er sie das erste Mal im Handelskontor von Fort Carlton gesehen und sie

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