An einem Tag im Januar
Dad. Ich habe nicht vor, Völkermord zu begehen!«
»Nein«, sagte Sam. »Aber sieh’s im größeren Kontext. Am unheimlichsten an dem Ganzen ist mir dieses … dieses Medium. Sie ist eine Betrügerin, darauf würde ich jede Summe wetten. Und wenn Chloe ihrer Kirche schon Geld zahlt, beunruhigt mich das noch mehr. Weißt du, wie viel sie gespendet hat?«
Mark konnte nur den Kopf schütteln.
Sein Vater sagte: »Es gibt in der Geschichte kein einträglicheres Betätigungsfeld für Betrüger und Scharlatane als die angebliche Kontaktaufnahme mit dem Jenseits. Und weißt du, warum? Weil niemand leichtgläubiger ist als Menschen, die trauern.«
Mark rieb sich die Augen. »Botschaft angekommen, Dad. Danke. Aber ich kann jetzt nicht zurück. Ich stecke zu tief drin, und ich habe zu viel aufgegeben …«
»Siehst du.« Sein Vater bohrte den Finger in die Luft. »Genau. Da sind wir uns einig. Das heißt, sie haben dich exakt da, wo sie dich haben wollen. Frag dieses Medium doch mal, was passiert, wenn ihr Ritual fehlschlägt. Ihr habt den perfekten Zeitpunkt, alles ist bereit. Aber wenn es nicht funktioniert? Was dann?«
Mark mochte nicht zugeben, dass er die Frage schon gestellt hatte. Dass er schon wusste, dass mehr als eine Sitzung nötig sein könnte.
»Würdet ihr dann weiter … Spenden überweisen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Mark.
»Ganz bestimmt würdet ihr das«, sagte Sam. »Ganz bestimmt. Wenn sie euch erst mal an der Angel haben, kriegen sie auch ihr Geld.«
»Dad …«
»Lass mich mitkommen«, sagte Sam. »Lass mich zuschauen.«
Mark könnte Trudy sagen: Das ist Brendans Großvater. Er ist das Andenken, das ich mitgebracht habe.
Aber wie würde Chloe reagieren, wenn Sam mitkam? Und wenn er einen Fremden mitbrachte, ein potentielles Hindernis – nein, Mark konnte sich Trudys Einwände lebhaft vorstellen.
»Nein«, sagte Mark. »Das geht nicht.«
Er und sein Vater hatten die gleiche Art, in Stresssituationen die Kiefer zusammenzupressen; unter Sams Kinn zuckte jetzt ein Muskel.
Mark sagte: »Ich habe alles im Griff. Du hast keinen Idioten großgezogen.«
Sams Blick war hart geworden. »Das weiß ich. Also gut, noch eine Frage. Du bist neu verliebt, schön. Aber was wird aus euch beiden, dir und Chloe, wenn sich alles als Schwindel herausstellt?«
Darauf wusste Mark keine Antwort.
»Chloe liebt dich. Aber sie hat dich auch früher geliebt – und dich trotzdem verlassen. Sie will dich sehen, weil du Brendan helfen sollst. Also triffst du dich mit ihr, voller Skepsis – und nur drei Tage später seit ihr beide glühend verliebt, du hast deiner Verlobten den Laufpass gegeben, und ihr zwei rennt zu einem Medium.« Sein Vater schluckte. »Für so eine Geschichte kann ich mir mehr als eine Lesart denken.«
Mark stand auf. »Du schätzst das völlig falsch ein …«
»Und was wird Chloe sagen, wenn du ihr von Allison erzählst?«, wollte sein Vater wissen. »Von dem Kind?«
Auch darauf wusste Mark keine Antwort. »Ich muss Brendan helfen«, sagte er. »Alles andere ist zweitrangig.«
Sein Vater kniff sich in den Nasenrücken. Er senkte den Kopf. Als er ihn wieder hob, waren seine dünnen Lider feucht. Mark schluckte; er hatte Sam bisher nur zweimal weinen sehen, bei der Beerdigung seiner Frau und der von Brendan.
Sam stand auf, goss sich Kaffee nach und setzte sich wieder. Er wischte sich über die Augen. »Darf ich dir eine Geschichte erzählen? Sie hat eine Relevanz bekommen, von der ich gehofft hatte, sie würde sie nie haben.«
Marks Wut verpuffte zu einem säuerlichen Wölkchen. Nein, dachte er. Nein, völlig egal, was.
Sam sagte: »Ich habe einmal deine Mutter zu verlassen versucht. Und dich.«
Die Worte fanden nicht gleich Eingang in Marks Hirn.
»Ich musste deiner Mutter versprechen, es dir nie zu erzählen«, sagte Sam. »Aber jetzt bleibt mir nichts anderes übrig.«
»Dad …«
»Sei ruhig.« Seine Augen verengten sich, und Mark begriff, dass seine Tränen nicht von Kummer herrührten, sondern von Zorn. »Ich habe es ihr auf ihrem Sterbebett versprochen. Aber das hier könnte ein guter Zeitpunkt sein, um zu sagen, dass ich glaube, die Toten scheren sich einen Scheißdreck um unsere Versprechen.«
Mark starrte ihn an. Sein Vater starrte zurück – vielleicht trotzig, vielleicht beklommen, möglicherweise auch beides – und begann dann zu sprechen.
Den Namen seiner Geliebten verriet Sam nicht.
Kennengelernt hatte er sie 1980, als er selbst dreißig war, ein
Weitere Kostenlose Bücher