An einem Tag im Januar
haben es besser verdient«, sagte sie. »Das wissen Sie hoffentlich.«
Und sie lächelte ihn an, beugte sich vor und küsste die Luft neben seiner Wange.
Mark schämte sich zu sehr, um Allison von seinem Überfall auf Margie zu erzählen, aber seine Stimmung übertrug sich trotzdem. Nachdem sie ihm eine Zeitlang zugesehen hatte, wie er stumm auf den Fernseher starrte, schlug sie vor, sie sollten zum Chinesen gehen.
Im Restaurant betrachtete sie ihn eine Weile ernsthaft, dann fragte sie: »Wie kann ich dir denn helfen? Morgen, meine ich.«
Er war überrascht und dann doppelt beschämt. Natürlich wusste Allie über Brendans Geburtstag Bescheid – sie wusste, warum er sich mit Chloe traf, und er hatte ihr oft genug erzählt, wie sehr dieser Tag ihm zusetzte. Irgendwie hatte er gedacht, er hätte auch das vor ihr verborgen gehalten.
»Ich pack das schon.« Er erwiderte ihren Blick. Erzähl ihr das von Margie, befahl er sich, und schwieg trotzdem.
»Ich dachte, ich gehe vielleicht aus«, sagte Allie. »Treffe mich mit ein paar Freundinnen, während du mit Chloe essen bist. Aber nur – nur, wenn du …«
»Kein Problem«, sagte er. »Mach dir keine Sorgen um mich. Ich hab es ja schon ein paarmal überstanden.«
Allie lächelte und drückte seine Hand, und zum ersten Mal an diesem Tag erlaubte er sich zurückzulächeln.
Als Allie im Bett lag, ging Mark in sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Er fuhr den Computer hoch. Es war 23.30 Uhr am 17. Dezember 2007. Mark war kein großer Freund von Ritualen, aber für Brendans Geburtstag hatte er eines entwickelt. Morgen Vormittag wäre zwar auch noch früh genug dafür, doch an Schlaf war vorerst ohnehin nicht zu denken. Er konnte auf den Fernseher starren und seiner nachmittäglichen Blamage nachlauschen, oder er machte das hier.
Er wartete, bis die Uhr auf dem Bildschirm Mitternacht anzeigte. Dann holte er seine Malsachen aus dem hohen Stahlschrank an der anderen Wand: ein großes Blatt Zeichenpapier und eine Schachtel mit Kohlestiften. Er klemmte das Blatt auf dem Zeichentisch unterm Fenster fest, dann ging er an den Computer und brachte ein paar Minuten damit zu, die richtige Musik auszusuchen. Anfangs hatte er oft Lieder gewählt, die Brendan gemocht hatte, aber davon gab es auf seiner Festplatte nicht mehr allzu viele. Wobei der Geschmack seines Sohns einwandfrei gewesen war – Folk, Männer und Frauen mit akustischen Gitarren: Nick Drake, Neil Young, Tracy Chapman. »Pink Moon« hatte er geliebt, aus Kindergründen – ihm gefiel die Vorstellung eines Mondes, der rosa war. Marks ernster, in sich gekehrter Junge hatte den armen, suizidalen Nick Drake lustig gefunden.
Nein, nicht so etwas. Mark entschied sich für eine dumpfe, meditative Musik – auf den Geschmack hatte ihn Lew vor ein paar Jahren gebracht: Stücke, die ihn in sich selbst und seiner Arbeit versinken ließen. Laut Lewis stand er auf Postrock und Ambient Electronica. Abseitiges Zeug. Irgendwie reizte ihn so was – so wie damals auf dem College, als er und Lew bei Used Kids Records herumgelungert und Punk und Grunge gekauft hatten. Jetzt hörte er Bands mit Namen wie Tortoise. Godspeed You Black Emperor. Mogwai. Explosions in the Sky.
Wenn er noch lebte und vierzehn wäre, wüsste Brendan alles über Postrock. Das war etwas, das Mark sich gern vorstellte – dass Brendan und er dieselbe Musik mochten, so wie ihm die Musik gefiel, die sein Vater hörte.
Mark drehte die Musik so laut, wie er sich traute, dann trat er an den Zeichentisch, nahm einen Kohlestift und schloss die Augen. Spitze, schmale Gitarrentöne tropften aus den Boxen. Er atmete einmal durch, zweimal, und versuchte Brendans Gesicht aus dem Gedächtnis zu holen. Brendan mit sieben.
Seinen lebendigen Sohn.
Für diese Übung hatte er eine Lieblingserinnerung. An einem Abend nicht lange vor Brendans Tod hatten Mark und Chloe Searching for Bobby Fischer ausgeliehen, und Brendan war den ganzen Film über wach und aufmerksam geblieben, völlig gebannt von diesem schachspielenden Jungen und seinen immer aufreibenderen Partien. Als der Film aus war, hatte sich Brendan zu Mark umgedreht und gefragt: Haben wir ein Schachbrett?
Sie hatten eins, oben im Gästezimmer. Mark und Brendan waren hinaufgegangen, um es zu holen, Brendan wie immer auf allen vieren vor Mark die Stufen hochkraxelnd.
Diese steilen Stufen genau in der Mitte des Hauses mit ihrer scharfen Kehre, auf der kaum Platz für Brendan war, geschweige denn Mark.
Sein
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