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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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es war ihnen zutiefst unheimlich gewesen, so als trügen sie statt eines Umschlags voller Kontoauszüge einen Sack voller Schlangen vor sich her.
    Nein, er habe keinen Termin, sagte er nun dem Mann am Empfang. Aber er müsse Margie dringend sprechen. Und es mache ihm nichts aus zu warten. Der Mann, der jung war und ein blassblaues Hemd mit Hosenträgern darüber trug, schaute bedenklich und bat ihn, Platz zu nehmen.
    Während des Wartens blätterte Mark in einem Prospekt mit Angeboten, aufgelistet nach Wohnvierteln. Das vergangene Jahr schien den Immobilienmarkt im Victorian Village genauso gebeutelt zu haben wie überall sonst; die Preise waren kaum höher als vor sechs Jahren, als Mark und Chloe verkauft hatten.
    Er wartete sehr lange. Ein Mann mit silbrigem Haar und einem teuren Mantel ging an ihm vorbei und rief dem Rezeptionisten einen lässigen Gruß zu. Ihm folgte ein schwarzes Pärchen Anfang dreißig, adrett und gutaussehend. Sie kaufen zum ersten Mal, dachte Mark – der Mann redete zu laut, während die Frau die Hände in den Taschen ihres langen Mantels behielt und starr geradeaus sah. Beide lächelten sie – benommen, furchtsam. Sie hatten ihr Traumhaus entdeckt. Liebe auf den ersten Blick.
    Mark beobachtete sie mit einem bohrenden, hintergründigen Schmerz. Die Frau streckte den Arm aus und streichelte durch den Mantel hindurch die Schulter ihres Mannes. Beide waren teuer gekleidet; der Mann hatte einen ledernen Aktenkoffer bei sich. Sie hatten sich ihr Glück verdient. Sie konnten zu Recht froh sein – wenn auch nicht annähernd so froh wie Mark und Chloe bei ihrem ersten Besuch hier.
    Einen Monat, bevor sie ihr Haus gekauft hatten, hätten sie von so etwas nicht einmal zu träumen gewagt. Sie waren dreiundzwanzig und frisch verheiratet, sie wohnten in einer winzigen Mietwohnung in Clintonville und verdienten zusammen knapp fünfzigtausend im Jahr. Fünf Jahre wollten sie mindestens noch sparen, danach konnten sie sich vielleicht einen kleinen Bungalow am nördlichen Stadtrand leisten, um dort die nächsten fünf Jahre weiterzusparen, und dann noch weiter … Ein großes Haus im Victorian Village, so hätten sie gefunden, war etwas für Banker und Manager. Für Leute, die reich zur Welt kamen.
    Doch dann hatte eines Abends Marks Vater angerufen und ihm in dem gleichen Plauderton, in dem er eine Bemerkung über den Regen hätte machen können, von dem Scheck erzählt, der von seinem Anwalt an ihn unterwegs sei.
    Was für ein Scheck?, wollte Mark wissen, und Sam sagte: Ja, deine Mutter hat dir ein bisschen was vererbt.
    Marks Mutter war damals noch kein Jahr tot; die Worte deine Mutter kamen seinem Vater immer noch zögerlich über die Lippen, als hätte er sie in einer anderen Sprache gelernt. Mark wusste nicht, was er sagen sollte. Es schien nicht recht, zuzugeben, dass sein Vater überhaupt etwas gesagt hatte, geschweige denn, dass das, was seiner Mutter widerfahren war, irgendjemandem zum Nutzen gereichen sollte.
    Aber er und Chloe ernährten sich damals fast nur aus Dosen und verbrachten zu viel Zeit damit, ihren Nachbarn zuzuhören, wie sie sich hinter den dünnen Wänden anschrien – darüber zankten, wer wie lange auf der Toilette saß.
    Wie viel ist es denn?, fragte er.
    Etwas über zweihundertzwölftausend, sagte ihm Sam.
    Und auf Marks erschüttertes Schweigen hin erklärte er: Ein Teil davon sei die Lebensversicherung. Mark sei der alleinige Begünstigte gewesen. Der Rest stamme aus Anlagegeschäften. Molly, so teilte Sam ihm mit, hatte von ihren Eltern Geld geerbt, die letzte Rate vor gut zehn Jahren, und damit an der Börse spekuliert. Ihr gehört ein kleiner Teil von Microsoft, sagte Sam, ein Lächeln in der Stimme – ich habe selbst erst ganz kurz vor ihrem Tod davon erfahren.
    Marks Mutter war eine kleine, stille, zurückhaltende Frau gewesen, Leiterin der alten Carnegie-Bibliothek in dem Städtchen Westover drei Meilen von ihrem Farmhaus entfernt, und Mark hätte sich niemanden vorstellen können, der mehr dafür geschaffen war als sie. Als sie und Sam sich kennengelernt hatten, war Molly ein Hippie-Mädchen aus San Francisco gewesen; in der Bibliothek trug sie eine Brille, lange, sackartige Gewänder und einen Zopf. Daheim war ihr Lieblingsplatz ein Papasansessel auf der hinteren Veranda, wo sie in den warmen Monaten bis tief in die Dämmerung saß, den Schoß voller Bücher. Mark konnte sich nicht erinnern, seine Mutter je mit Geld hantieren gesehen zu haben. Der bloße Gedanke

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