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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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vibrierte. Eine sms von Allie: Ich denk an dich. xoxo .
    Er löschte sie, ohne zu antworten. Nach all ihrer Einfühlsamkeit gestern war sie ihm vorhin, als sie sich beide zum Ausgehen fertig machten, zunehmend auf die Nerven gegangen. Was wirst du ihr sagen?, hatte sie immer wieder gefragt, bis er schließlich zugab – barscher als gewollt –, dass er noch keine Ahnung hatte. Ihre Nachricht – die im Klartext lautete: Vergiss deine Verlobte nicht – verdiente es, ignoriert zu werden.
    Er hatte das Handy gerade ausgeschaltet, als Chloe in einem langen grauen Mantel ins Lokal kam. Ein älterer Mann hielt ihr die Tür auf; sie lächelte ihn dankbar an.
    Chloes Blick streifte den von Mark – und sofort wusste er, dass etwas nicht stimmte. Sie lächelte zwar, aber ihre Augen waren unstet, voller Aufruhr. Hatte Connie sie schon gefunden?
    Trotzdem, sie lächelte – das schiefe, leicht schmerzliche Lächeln, das er mittlerweile von ihr gewohnt war. Sie kam auf ihn zu und warf im Gehen ihre langen, glatten Haare zurück, die jetzt wieder naturblond waren, nicht mehr zu diesem schmutzigen Rotbraun gefärbt. Voll Staunen bemerkte er die schmale, schwarz eingefasste Brille; sie hatte nie eine Brille gebraucht. Erwartungsgemäß sah sie umwerfend damit aus.
    So ging es ihm jedes Mal: Er sah Chloe, und sein Herz schlug schneller – weil sie immer noch so schön war, weil er sie so lange geliebt hatte –, und gleich darauf krampfte es sich zusammen, weil sie so schön war, weil er sie so lange geliebt hatte und sie jetzt nicht mehr liebte. Sie nicht mehr lieben konnte.
    Sie streckte die Arme aus. »Hallo«, sagte sie.
    Chloe sagte fast nie seinen Namen.
    Sie umarmten sich. Er schloss die Augen, atmete ihren Duft ein. Sie benutzte immer noch dasselbe Parfüm (ein französischer Name, den er sich nie merken konnte), und darunter machte er den Geruch ihres Waschpulvers aus, der Spülung, die sie für ihr Haar hernahm, und den ganz eigenen Duft ihres Rouge – nicht, dass sie es je nötig gehabt hätte, aber davon hatte er sie nie überzeugen können. Er rieb mit der Hand über die raue Wolle ihres Mantels, zwischen ihren Schulterblättern, und wer von ihnen eine Sekunde länger so verharrte, die Umarmung eine Sekunde länger andauern ließ, hätte er nicht zu sagen vermocht – nur dass es so war.
    »Chloe«, sagte er. Die alte, magische Spirale. Ihr Name ein Bann, der über ihn geworfen wurde.
    Sie gab ihren Mantel der Empfangsdame. Darunter trug sie dunkelblaue Jeans und hochhackige schwarze Stiefel; über die graue Bluse hatte sie ein seltsames, gelb-schwarz kariertes Bolero-Jäckchen gezogen, das besser zu einem Fünfziger-Jahre-Teenager mit Tellerrock gepasst hätte. Früher hätte sie in solchen Kleidern durch die schiere Kraft ihrer Persönlichkeit gewirkt, aber heute? Wenn er sie nicht kennen würde, hätte er sich möglicherweise gefragt, wem sie etwas zu beweisen versuchte.
    Andererseits kaschierte er sein Doppelkinn und die schlaffe Wangenpartie jetzt ja auch mit einem Kinnbärtchen.
    »Gut siehst du aus«, sagte er.
    »Danke.« Sie wandte den Blick ab.
    Nie kam ihr ein »Du auch« über die Lippen.
    Die Empfangsdame führte sie ein paar schmale Stufen hinunter, vorbei an einer Reihe holzvertäfelter Nischen. Mark schaute in die Gesichter der Männer und Frauen, die dort saßen – ein altes Spiel, das noch von Chloes und seinem allerersten Rendezvous herrührte. Diese Fremden sahen Chloe vorübergehen und taxierten dann ihn, den Mann an ihrer Seite. Den Auserwählten. Wider besseres Wissen empfand er wieder den alten Schwindel, dieses alte Gefühl der Unbesiegbarkeit. Er hätte auf Allies sms antworten sollen.
    Die Empfangsdame brachte sie an einen kleinen Tisch hinten an der Ziegelwand. Sie zündete die Kerze an und ließ sie dann allein. Chloes Gesicht wirkte weicher im Kerzenlicht – geisterhaft, dachte er und hätte sich gleich darauf dafür ohrfeigen können.
    Ihre Augen waren verquollen. Sie hatte am Grab gesessen und geweint.
    »Und?«, sagte Chloe munter. »Wie geht es dir?«
    Er war nicht so weit. Noch nicht. »Erst du«, sagte er. »War ein langer Tag heute.«
    Den Blick, den Chloe ihm zuwarf, kannte er von ihr nur zu gut. Reiß dich gefälligst zusammen, sagte dieser Blick. »Wie es mir geht?«, sagte sie und verzog das Gesicht. »Tja.«
    Sie wollte noch mehr sagen, aber der Ober kam, um ihre Getränkebestellung aufzunehmen. Chloe wandte sich ihm voll Erleichterung zu. Sie bestellte Wein – wie

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