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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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zu groß, Mark war schon auf Dutzenden solcher Partys gewesen, mit lauter hübschen Mädchen, die vor seinen Augen aufblitzten und dann für immer verschwanden.
    Sag mal, sagte er, wie wär’s, wenn ich dich heimfahre?
    Sie lächelte. Unschlüssig, aber nicht abgeneigt.
    Zu Fuß solltest du jedenfalls nicht gehen. Das ist eine schlechte Gegend hier.
    Und du bist kein schlechter Mensch?
    Ich glaube nicht.
    Ihre Augen forschten in seinem Gesicht. Ihr Lächeln blieb.
    Ich auch nicht, sagte sie.
    Und alles Weitere, wie jedermann außer seinem Vater sagte, ließ sich in den Geschichtsbüchern nachlesen.
    Mark konnte nicht anders, er wendete, schlug die Richtung ein, aus der er gekommen war, und fuhr auf der Neil Avenue südwärts. Hier begann das Village; fünf Straßen weiter bremste er vor dem großen, dreistöckigen Kasten, in dem Chloe damals gewohnt hatte. Keine zwei Wochen nach ihrer ersten Begegnung hatten sie sich hier zum ersten Mal geliebt, hinter dem dritten Fenster von links. Die Frau, die ihm am Abend der Party als unberührbar erschienen war, lag nun wundersamerweise nackt unter ihm, ihr Atem streifte seine Wange, ihre Finger strichen an seinen Hüften auf und ab. Sie hatten das nicht geplant – seit zwei Wochen hatten sie überhaupt nichts mehr geplant, sich nur wie von einem Magneten vorwärtsziehen lassen zum nächsten Treffen, zum nächsten Gespräch, zum nächsten Kuss. Und nun lagen sie auf Chloes Bett, ihre Bücher achtlos beiseitegestoßen, Marks Boxershorts halb um seinen Knöchel gewickelt, Chloes Fußsohle an seiner Wade. Ich hab nichts mit, sagte er.
    Wir passen einfach auf.
    Chloe …
    Sie hatte ihm den Mund mit einem Kuss verschlossen.
    Egal, hatte sie dicht an seinem Ohr geflüstert. Heute Nacht, morgen Nacht, irgendwann ist es so weit. Ich wusste es gleich vom ersten Moment an.
    Er war dem Weinen nahe. Genau das hatte er auch gefühlt. Gehofft.
    Aber als er in sie eindringen wollte, verkrampfte ihr Körper sich. Es hatte andere Männer vor ihm gegeben, sagte sie ihm, und sie waren nicht alle gut mit ihr umgegangen. Zum ersten Mal sah Chloe kindlich aus, ängstlich: ein bloßes Mädchen. Ihre eine Hand lag an seiner Wange, die andere hatte sie flach gegen seine Brust gestemmt. Die seltsame Intuition, die ihn die ganzen letzten Wochen hindurch geleitet hatte, gab ihm auch jetzt die richtigen Worte ein:
    Ich werde dir nie wehtun, Chloe.
    Sie nickte, ihr Blick unverwandt. Ich weiß, sagte sie. Dann lächelte sie, zog ihn zu sich heran. Führte ihn langsam, ganz langsam, in sich hinein.
    Mark spürte, wie ihm die Tränen kamen. Nach der Trennung war er einige Male hierhergefahren – hatte sich mit seinem Wagen vors Haus gestellt und zurückgedacht an diese alten Nächte, seine alten Versprechen. Sich in Erinnerungen verloren.
    Jetzt jedoch war es anders. Jetzt hatte er ihren Brief.
    Bitte komm.
    Unser Sohn ist noch hier .
    Wenn er früher hier geparkt hatte – ein Mann, dessen Familie von einem schwarzen Loch verschluckt worden war und der statt einer Zukunft eine nackte graue Wand vor sich sah –, hatte er rührseliges Zeug gedacht. Dass dies ein magischer Ort war. Dass in dem dritten Fenster von links seine Ehe geboren worden war. Unter Chloes dicken Decken hatten sie einander die Zukunft geschenkt, die nun für immer verloren war. Hier hatten sie sich erschaffen.
    Hier, in Chloes Bett, hatten sie zum ersten Mal von dem Sohn gesprochen, den sie einmal haben würden.
    Das mit uns ist für immer, hatte Chloe eines Nachts zu ihm gesagt, als sie vielleicht drei Monate zusammen waren. Das spürst du doch auch, oder? Das ist etwas ganz Besonderes zwischen uns.
    Ja, sagte er.
    Ich will Kinder, flüsterte sie. Ich will unbedingt Kinder mit dir. Ist das ein Problem für dich?
    Sie fing zu weinen an.
    Ich will ein Kind mit dir haben, sagte sie. Ich will dich mit unserem kleinen Jungen im Arm sehen. Ich will hören, wie er dich Daddy nennt.
    Etwas ließ ihn zögern. Vielleicht war das der Grund für Chloes Tränen. Er zögerte, und sie umklammerte ihn – schob sich auf ihn, ihr langer Körper schwer und glitschig, fiebrig fast.
    Dann hörte sie auf zu reden, wiegte sich nur noch leise stöhnend vor und zurück, die Finger in sein Haar gewühlt.
    Bitte glaub mir, wisperte sie.
    Ja, sagte Mark.
    Was hätte er sonst sagen sollen? Er war ein mittelmäßiger Student. Er plante bereits schamhaft seine Flucht aus dem Kunststudium zu Grafikdesign – ihm war längst klar, dass seine Begabung nicht einmal

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