An einem Tag im Januar
schmecken.
Er stand auf und ging in die Küche. Nach dem Abend von Chloes Anruf hatte er sich geschworen, nicht mehr zu trinken. Aber er brauchte so dringend Schlaf, er würde sich heute ein Glas Wein gönnen. Nur ein einziges.
Er war sicher gewesen, dass Allison eine angebrochene Flasche hatte, aber im Kühlschrank war keine. Er sah in der Kammer nach, doch auch da fand er nichts. Hatte sie überhaupt ihr übliches Glas zum Abendessen getrunken? Er hätte es nicht sagen können.
Sie war hinter sein Besäufnis während des Schneesturms gekommen. Sie war dahintergekommen, erschrocken, und jetzt hatte sie den Wein versteckt oder aus dem Haus geschafft.
Er sah Chloe vor sich, wie sie mit tränenverschmiertem Gesicht das halbvolle Glas Whiskey-Cola hochhielt, das er bei Brendans Sturz neben dem Sofa hatte stehen lassen. Sah sie von dem Glas zu ihm schauen.
Hast du getrunken ?
Mark ging zurück ins Wohnzimmer. Knipste den Fernseher aus. Stieg langsam die Treppe hinauf. Schlüpfte zu Allison ins Bett und starrte dort zur Decke hoch.
Atmete tief ein und aus. Entspannte seine Glieder, die Finger, die winzigen Muskeln am Kieferansatz, die sich fester und fester zuziehen wollten.
SECHZEHN
Drei Tage später ging Mark am Küchentisch die Post durch, als aus einem Stoß Werbesendungen ein kleines blassgrünes Kuvert auf seinen Schoß rutschte. Er wusste, was das war, von wem es war, noch ehe er es aufhob und seinen Namen und die Adresse in Chloes sauberer, schlaufiger Handschrift geschrieben sah.
Auf der Rückseite, quer über der Klappe, stand ein einziges Wort: Bitte .
Weg damit, dachte er. Es zerreißen, die Fetzen ins Klo und runterspülen. Aber was wäre dadurch gewonnen? Seit Tagen fürchtete er sich nun schon vor Chloes nächstem Schritt, und hier war er. Letzlich empfand er fast Erleichterung.
Erleichterung – und noch etwas Vertrackteres. Er saß da und fuhr mit den Daumen an den Kanten des Kuverts entlang. Chloe hätte jeden Weg wählen können, aber dass sie ihm einen Brief schrieb, wirkte auf ihn – wie sicher von ihr einkalkuliert – fast noch stärker als alles, was in dem Brief selbst stehen konnte.
In ihrer Anfangszeit, vor der Hochzeit, hatte sie ihm Dutzende von Briefchen geschrieben. Zärtlich, beteuernd. Spielerisch. Chloe hatte Englisch im Nebenfach studiert, sie war eine leidenschaftliche Tagebuchschreiberin gewesen. Ihr Schreibtisch in ihrem Collegezimmer hatte immer vollgelegen mit Briefbögen, Notizbüchern, alten Füllfederhaltern von ihrer Großmutter. Kaum eine Woche war vergangen, ohne dass er ein Kuvert wie das jetzige zwischen seinen Buchseiten entdeckte, in der Brusttasche seiner Jacke, unterm Kopfkissen.
Diese Briefchen waren fast immer romantisch gewesen, überschwänglich. Der kleine Umschlag in seinem Schuh enthielt die Frage: Wollen wir nachher essen gehen? XOXO . Auf dem Zettelchen, das sie in seiner Brieftasche versteckte, stand: Hab mir heut eine Stunde lang vorgestellt, ich wär schon deine Frau. Oder er zog den Reißverschluss an seiner Zeichenmappe auf und fand an eine zusammengerollte Skizze von ihm ein kleingefaltetes Blatt geheftet: Ich möchte dich in mir spüren .
Chloe wusste, was sie mit diesem Kuvert in ihm auslöste. Welche Erinnerungen und Gefühle es weckte.
Bitte komm zu mir. So schnell du kannst .
Er schob den Daumennagel unter die Umschlagklappe.
Mark,
ich weiß, Du hast mir gesagt, ich soll Dich in Ruhe lassen, aber es ist viel passiert, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben. Und jetzt muss ich Dich erreichen, auf welchem Weg auch immer. Wahrscheinlich hast Du weder meine Nachricht abgehört noch meine Mail an Dich gelesen. Ich verstehe, warum, deshalb versuche ich es jetzt mit einem Brief. Bitte hör mich an, Mark. Bitte lies ihn bis zum Ende.
Ich habe Dir viel zu erzählen, aber als Erstes möchte ich Dich um Verzeihung bitten. Ich entschuldige mich von ganzem Herzen für meinen Auftritt neulich. Ich schäme mich dafür. Ich habe mich wie ein Kleinkind benommen, und ich hatte das, was Du mir danach gesagt hast, verdient. Mehr als verdient. Ich bitte tausendmal um Entschuldigung. Millionen Mal.
Das kannst Du mir wahrscheinlich nur schwer glauben, so wie ich mich verhalten habe, aber Du bedeutest mir sehr viel. Es ist so schwer, das zu schreiben. Ich kann nur ahnen, wie es jetzt in Dir aussehen muss. Ich spüre unsere ganze Vergangenheit hinter uns, so viel Liebe und Zeit und Schmerz, und ich muss sie heraufbeschwören, obwohl ich es war, die
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