An einem Tag im Winter
dem Kasten hatten.« Alec schwenkte den letzten Rest Kaffee in seiner Tasse. »Anfangs war Redmond derjenige, der den groÃen Ruf besaÃ. Kaminski hat mir einmal erzählt, dass Redmond niemals etwas vergaÃ. Er konnte wortwörtlich aus einem Buch zitieren, das er zehn Jahre vorher gelesen hatte.«
Alex zog sein Jackett über und steckte Schlüssel und Brieftasche ein. Als sie zur Tür hinausgingen, sagte er: »Vielleicht ist Redmond aufs Abstellgleis geschoben worden, weil er sich nicht eingefügt hat. Er war Kommunist, und das war sicher keine Hilfe. Einmal gab es im Speisesaal eine Auseinandersetzung, als Redmond sich mit einem Mann aus dem Finanzministerium angelegt hat, der zu Besuch da war. Er glaubte diesen kommunistischen Blödsinn vom Tod des Kapitalismus und vom gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln immer noch.«
Sie gingen zur U-Bahn. Busse rumpelten die StraÃe entlang; durch ihre verschmierten Scheiben konnte Ellen verschwommen die Gesichter müder Menschen erkennen, die zusammengesunken auf ihren Sitzen hockten. Flüchtig ging ihr der Gedanke durch den Kopf, dass sie an Diskussionen im Speisesaal von Gildersleve, ganz gleich, welcher Art, nie hätte teilhaben können: Frauen hatten zu diesem Ort keinen Zutritt. Sie verspürte einen plötzlichen, heftigen Widerwillen und war froh, dass sie nicht mehr dort war. Andere wissenschaftliche Einrichtungen genossen vielleicht nicht das gleiche Ansehen, aber sie behandelten ihre Mitarbeiterinnen auch nicht mit solcher Geringschätzung.
»Kaminski war natürlich mit Redmonds kommunistischer Ãberzeugung überhaupt nicht einverstanden«, bemerkte Alec. Er hielt sie an der Hand, als sie die Treppe hinunter zur Schalterhalle gingen. »Seinem Heimatland ist damals von den Russen übel mitgespielt worden. Im Krieg hat man Redmonds politische Einstellung vermutlich geflissentlich übersehen, schlieÃlich standen wir alle auf derselben Seite. Aber die Zeiten haben sich geändert.«
Alec kaufte Fahrkarten. Auf der Rolltreppe stand Ellen eine Stufe vor ihm. Seine Hand lag leicht auf ihrer Schulter, und sie verschränkte ihre Finger mit den seinen. Alec hatte recht: Mit dem Beginn des Kalten Krieges hatten sich die Zeiten geändert, und vor allem in Amerika waren Leute mit linken Tendenzen nicht mehr willkommen.
Auf dem Bahnsteig standen sie Nase an Nase, sie mit den Händen in seinen Jackentaschen. Sie sprachen von ihren Zukunftserwartungen, die im Lauf der vergangenen Monate auf eine gemeinsame Bahn eingeschwenkt waren.
Ein heiÃer LuftstoÃ, dann fuhr ein Zug ein. Es war voll, und sie mussten an der Tür stehen. Seine Arme gaben ihr Halt, während der Zug schwankend und kreischend durch die Tunnel raste.
Sie hörte ihn sagen: »Würdest du mit mir nach Schottland fahren, Ellen? Ich möchte dich mit meiner Mutter bekannt machen. Und noch etwas â würdest du mich heiraten? Ich weiÃ, wir kennen uns noch nicht so lange, aber wozu warten? Ich habe es schon nach einer Woche gewusst. Und du?« In seinen Augen erkannte sie eine Mischung aus Hoffnung und Sorge. »Ich weià nicht, wie wir es hinkriegen werden, aber ich wünsche es mir. Und du, Ellen? Wünschst du es dir auch?«
»Ja, Alec«, antwortete sie mit absoluter Gewissheit. »Oh, ja.«
7
MICHAELS VATER WAR GESTORBEN . Als er nach der Beerdigung nach London zurückkehrte, ging India mit ihm etwas trinken, um ihn ein wenig abzulenken. Michael schlug das Colony Room vor, das sei genau der richtige Laden, um sich einen anzutrinken, meinte er.
Er erzählte ihr von der Beerdigung. »Grässlich. Ohne Sinn und Würde. Und keiner konnte die Hymnen richtig singen. Wir Colebrooks sind eine unmusikalische Bande.«
»Ich war noch nie auf einer Beerdigung. Zu der von meiner Mutter durften Sebastian und ich nicht, angeblich waren wir zu jung dafür.«
Er musterte sie mit seinen runden, dunklen Augen, die sie an die eines Rotkehlchens erinnerten. »Du hast nicht viel versäumt. Das Ganze ist nichts als deprimierend.« Er lachte kurz auf. »Das liegt wohl in der Natur der Sache.« Er nahm zwei Zigaretten aus seinem Etui, zündete sie beide an und reichte die eine India. »Manchmal beneide ich die Katholiken beinahe. Da ist doch wenigstens ein bisschen Leidenschaft dabei. Aber nur beinahe. Sex ist in Ordnung, aber Leidenschaft ist gefährlich. Wenn
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