An einem Tag im Winter
kümmern, schlug sie vor, und Alec stimmte zu. Aber nichts geschah. Er machte keine Ausflüchte, er schien es einfach zu vergessen â oder nein: Was sie als Beschluss ansah, war in seinen Augen bloà eine Ãberlegung.
Sie betrachtete ihre Gespräche im Licht von Catrionas Worten und fragte sich, ob Alec emotionale Szenen tatsächlich so scheute, dass er jeder Konfrontation auswich in der Hoffnung, dass sich die Dinge irgendwie von selbst regeln würden. Dabei schien ihm ganz gleich zu sein, wie sehr die Atmosphäre vergiftet war.
Sie ging früh zu Bett. Die Fahrt hatte sie müde gemacht, aber wider Erwarten konnte sie nicht einschlafen. Offenbar setzte ihr der Sturm zu, denn unablässig gingen ihr quälende Gedanken und drängende Fragen durch den Kopf und hielten sie wach.
Sie musste eine Weile leicht eingedämmert sein, als sie plötzlich wieder die Geräusche hörte. Lauschend setzte sie sich auf. Ein Knarren, ein Quietschen, Scharren und Schleifen. Jemand â etwas â war oben auf dem Dachboden. In der Stille der Nacht schienen die Geräusche unnatürlich laut widerzuhallen. Sie ordneten sich zu einem leisen, gleichmäÃigen Tappen von FüÃen, die entschlossen und unbeirrt einem Ziel entgegenstrebten. Die Grenzen ihres Zimmers â die Wände, die Decke â schienen durchlässig, und sie blickte unwillkürlich zur Tür.
Mit aller Kraft nahm Ellen sich zusammen. Alec oder seine Mutter mussten auf den Dachboden hinaufgegangen sein, das war die einzige Erklärung. Aber wozu?
Sie schlüpfte in ihren Morgenrock und trat aus ihrem Zimmer. Als sie im Flur Licht machen wollte, bemerkte sie unter einer Tür weiter vorn einen hellen Schimmer. Noch während sie hinsah, erlosch das Licht und flammte gleich darauf wieder auf. Sie zögerte einen Moment, voll Furcht, was sie entdecken würde, wenn sie die Tür öffnete, dann aber ging sie hin und drehte den Türknauf.
In dem an- und ausgehenden Lichtschein konnte sie vor sich eine kurze Treppe ausmachen, die nach oben führte. Als das Licht auf dem Dachboden das nächste Mal aufflammte, zeigte es ihr die hohen Dachbalken und darunter mehrere dunkle, massige Gegenstände, die dort gelagert waren. Nichts bewegte sich. Nur das Licht flackerte auf und erlosch wieder, und zwar mit einer gewissen RegelmäÃigkeit, wie es Ellen jetzt scheinen wollte. Leise und vorsichtig stieg sie die Stufen hinauf, als wollte sie das, was dort oben herumstöberte, nicht vor ihrem Kommen warnen. Sie hätte eine Taschenlampe mitnehmen sollen, dachte sie.Vom Mondschein erhellte Wolken jagten vor einem Dachfenster vorbei, sonst war es stockfinster. Wieder hörte sie ein Tappen, sah wieder das Licht aufblitzen und merkte sich, aus welcher Richtung es kam. Zwischen verstaubten Schiffskoffern und Kisten hindurch tastete sie sich vorwärts, wobei sie versuchte, sich den Grundriss des Hauses ins Gedächtnis zu rufen. Alec hatte ihr erzählt, dass man über die Dachböden vom einen Ende des Gebäudes zum anderen laufen konnte. Sie wusste, dass sie sich zum Westende von Kilmory House bewegte, hin zu der Giebelseite, die dem Meer am nächsten stand.
Wieder flammte das Licht auf, erleuchtete ein Bogenfenster und fiel auf die dahinterliegende Bucht. Neben dem Fenster waren die Umrisse einer Gestalt zu erkennen, und diese Gestalt war ganz sicher nicht Alec.
Eisiges Entsetzen packte Ellen, und einen Augenblick verharrte sie wie gelähmt. Dann flüsterte sie: »Mrs. Hunter?«
Langsam drehte sich Alecs Mutter nach ihr um. Sie hielt eine groÃe Taschenlampe in der Hand.
»Ich dachte mir, dass Sie es sind.« Marguerite Hunter sprach ganz ruhig. »Alec hatte immer schon einen gesunden Schlaf. Ich kann bei Sturm nie schlafen.«
»Was tun Sie hier?«
»Ich schicke Leuchtsignale.«
Ellen fröstelte. »Wem denn?«
»Francis, meinem Mann, natürlich. Ich stelle mir gern vor, dass es ihm hilft, nach Hause zu finden. Das ist so ein Wunschtraum von mir. In manchen Nächten drängt sich offenbar der Wind in meine Träume. Kommen Sie.«
Ellen trat zum Fenster. Das Mondlicht glänzte auf dem Wasser der Bucht. »Schauen Sie«, sagte Marguerite Hunter leise. »Es ist nur ein kleines Boot, bloà für Tagesausflüge, und es hat weiÃe Segel. Es ist auf dem Weg vom offenen Meer zurück zur Bucht. Die Segel hängen in Fetzen,
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