An einem Tag im Winter
vor zehn Jahren.«
»Glauben Sie?« Catriona runzelte die Stirn. »Da bin ich mir nicht so sicher. Vor zehn Jahren war Alec nicht bereit, überhaupt zu heiraten. Es hat mich fast vernichtet, als ich das begriffen habe. Ich dachte, er hätte die gleichen Gefühle für mich wie ich für ihn. Tja, wie leicht man sich etwas vormachen kann, wenn man siebzehn ist. Ich konnte es nicht fassen, dass er mich einfach so stehen lassen konnte. Ich war damals nicht sehr nett zu ihm. Weil ich ihn dazu bringen wollte, mich zu hassen.« Catriona blies eine Rauchwolke in die Luft und sah Ellen lächelnd an. »Das habe ich manchmal bedauert. Aber es heiÃt ja, dass Liebe und Hass gar nicht so weit voneinander entfernt sind.«
Als India einige Tage nach dem hässlichen Zusammenstoà mit Bernie nach Hause kam, bemerkte sie, dass die Wohnungstür halb offen stand. Sie trat ein. Das Wohnzimmer sah aus, als hätte ein Orkan darin gewütet und alle ihre Besitztümer durcheinandergeschleudert. Bücher lagen auf dem Boden, aufgeschlagen, mit den Rücken nach oben, Nippsachen waren zerbrochen, Pflanzentöpfe umgekippt, der Teppich mit feuchter Erde verschmiert.
Dann bemerkte sie Sebastian. Er kauerte auf dem Boden neben der Kredenz, den Kopf eingezogen, die Arme fest um die hochgezogenen Beine geschlungen. Sie kniete neben ihm nieder. Als sie seine zitternde Schulter berührte, zuckte er zusammen.
»Sebastian?« Sie bemühte sich, die aufkommende Panik zu unterdrücken und ruhig zu sprechen. »Was ist denn, Schatz? Was ist passiert?«
»Tut mir leid«, flüsterte er. »Tut mir leid.«
Als er sich aufrichtete und sich mit einer Hand über das Gesicht strich, sah India die rot angelaufenen Male rund um seinen Hals.
»Wer hat das getan?« Aber sie wusste es schon.
»Er war hier.« Sebastians Blick huschte immer wieder zur Wohnungstür. »In der Wohnung. Als ich nach Hause gekommen bin. Ich hab ihn einfach gelassen.«
India war fast krank vor Angst. »Was wollte er?«
»Ich weià es nicht.« Sebastians Stimme klang heiser. »Er hat nichts gesagt. Aber er hat meinen Namen gewusst. Und deinen auch, India.«
Heilloser Zorn und entsetzliche Schuldgefühle überfielen India beim Anblick der roten Stellen am Hals ihres Bruders. »War er gro� Rötliche Haare? Ein dummes Gesicht?«
Sebastian nickte.
»Wenn er dir was getan hat â«
»Es ist nichts. Ich bin nur gegen die Wand geprallt.« Er rieb sich den Kopf. Dann flüsterte er: »Ich hab nichts getan. Ich hab nicht mal versucht, mich zu wehren.«
»Gott sei Dank«, sagte India trocken. »Er hätte dich umgebracht.« Sie stand auf. »Ich mache uns jetzt erst mal einen Tee.«
In der Küche blieb sie einen Moment reglos am Spülbecken stehen, so übel war ihr. Auch hier hatte Lee sich ausgetobt, den Inhalt von Dosen und Tüten auf den Boden geschüttet, Töpfe und Geschirr aus den Schränken gezerrt. Tante Rachels schönes altes Teeservice, rosa Blümchen mit Goldrand, war in Scherben. Sie kniete sich hin und sammelte die Bruchstücke ein.
Dann setzte sie das Wasser auf und ging wieder ins Wohnzimmer, wo Sebastian versuchte, eine Geranie in ihren Topf zu drücken.
»Der kommt nicht wieder, Sebastian«, versprach sie ihm leise. »Dafür werde ich sorgen.«
Die Geschwister umarmten sich, und dann goss India den Tee auf und gab drei zerdrückte Aspirin und viel Zucker in Sebastians Tasse, ehe sie sie ins Wohnzimmer trug. Sie begannen, die Wohnung aufzuräumen, stellten die Bücher in die Regale zurück, fegten die Erde zusammen. India, die Lee für einen Psychopathen hielt, klemmte vorsichtshalber einen Stuhl unter die Klinke der Wohnungstür. Das Telefon läutete mehrmals, aber sie ging nicht hin. Bernie hatte ihr Lee auf den Hals gehetzt, um sie zu bestrafen und daran zu erinnern, dass sie ihm etwas schuldete. Sie konnten die Schlösser austauschen, Riegel anbringen lassen, aber jemand wie Lee würde sich immer irgendwie Zugang zu verschaffen wissen.
Als die schlimmsten Schäden beseitigt waren, bereitete sie das Abendessen zu. Hinterher setzten sie sich aufs Sofa und hörten Radio. India rauchte und kaute auf den Nägeln, während sie nachdachte und im Radio irgendein Mann etwas von Dahlien erzählte.
Sie musste sich überlegen, wie sie Sebastian schützen konnte. In der Wohnung
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