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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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ernsthaftem Studium ablenken würde. Die Gebäude, grauer Granit und weiße Holzschindeln, standen auf einem hübschen kleinen, grün belaubten Gelände.
    Marcus kaufte ein Haus, Fairlight House, und Ende März zogen sie ein. Es war ein großer, rechteckiger Bau, die Mauern mit rotbraunen Holzschindeln verschalt. Früher hatte es zu einem Bauernhof gehört, und wenn auch Ackerland und Weiden verkauft waren, umfasste das Anwesen doch immer noch mehrere Morgen Land. India hatte den Eindruck, dass ebendies Marcus gelockt hatte: die Vorstellung, Land zu besitzen, Herr über einen eigenen See, Wälder und Wiesen zu sein. Eigentum, hatte sie gemerkt, war Marcus wichtig.
    Ihre Sachen aus England, die per Schiff befördert worden waren, trafen ein. Da waren der Healey, sorgfältig verpackt wie ein überdimensionales Weihnachtsgeschenk, und dort die Kisten mit Marcus’ Manuskripten, Akten, Korrespondenzen und Urkunden. Indias Hab und Gut – bestickte Kopfkissenbezüge, die einmal Rachel gehört hatten, die Überreste des Teeservices, das Lee in Scherben gelegt hatte, ein Kalender, den Sebastian ihr gebastelt hatte, als sie auf dem Internat gewesen war, einige Bücher und Schallplatten – passte in eine einzige Kiste.
    Anfangs protzte Marcus mit ihr, so wie er mit dem Austin-Healey protzte. Das ist mein spritziges kleines europäisches Auto und das ist meine spritzige kleine europäische Ehefrau . Sie wurden von Marcus’ Kollegen eingeladen, Professoren und Dekanen, in weiße Holzhäuser mit gepflegten grünen Rasenflächen, wo betuliche Damen India die Hand tätschelten und sie fragten, ob sie Heimweh nach ihrem Zuhause und ihrer Familie habe. Das Heimweh nach Sebastian war wie ein bohrender Zahnschmerz; sie spürte es am stärksten nachts, wenn nichts anderes die Gedanken an ihn verdrängen konnte – war er glücklich, war er einsam, würde er ohne sie zurechtkommen?
    Sie revanchierten sich und luden zu Cocktailpartys und Mittagessen ein. Wenn der Zauber vorbei war, hielt Marcus India ihre Fehler vor. Sie müsse sich den wichtigen Gästen widmen, anstatt an irgendeiner Tischkante hängend mit den paar Studenten zu schwatzen, die auch eingeladen worden waren. Auf Cocktailpartys tanzte man nicht, man hockte nicht mit hochgezogenen Beinen auf dem Sofa und lachte wie eine Verrückte, wenn jemand einem Witze erzählte.
    Seine Vorträge langweilten sie. Sie könne nicht einsehen, erklärte sie, warum man überhaupt Leute einladen solle, wenn sich dann kein Mensch amüsierte. Er packte sie bei der Hand und riss sie zu sich herum. Bei diesen Einladungen gehe es nicht um ihr Amüsement, sondern um die Festigung seiner Position am College. Ob sie das verstanden habe?
    Hin und wieder kam dieser oder jene Student vorbei, diese oder jene Dozentengattin zu Kuchen und höflicher Konversation, aber die meiste Zeit waren Viola und Roy Gosse Indias einzige Gesellschaft. India mochte Viola, die ihr pikante Geschichten von ihrer Arbeit in einer Konservenfabrik in Chicago während des Krieges erzählte, doch Gosse konnte sie nicht ausstehen. Er sagte: »Ja, Mrs. Pharoah«, und: »Nein, Mrs. Pharoah«, wenn sie ihn bat, den Müll hinauszubringen oder Holz zu holen, aber India merkte genau, dass sie für ihn nicht die richtige Mrs. Pharoah war.
    Die Tage vergingen, und Marcus’ Zufriedenheit mit dem College begann zu schwinden. Es gab Probleme mit der Mittelbeschaffung. Die Fertigstellung des neuen Biochemiebaus musste warten, und er musste sich mit ein paar engen Laborräumen bei den Chemikern behelfen. Nach London kam ihm das abgelegene Midhurst kleinstädtisch und spießig vor, und er konnte den Studiendekan, einen hageren, asketisch wirkenden Mann namens Lowell Crome, nicht leiden. India musste zugeben, dass Mr. Crome ein ausgesprochener Langweiler war. Er brachte es fertig, nach dem Essen endlose Vorträge zu halten, weit über seinen Dessertteller gebeugt, die Hände vor seiner Nase aneinandergelegt wie zum Gebet. Wenn Marcus versuchte, ihn zu unterbrechen, hob er freundlich lächelnd die Hand und sagte: »Wenn Sie mich eben ausreden lassen würden, Marcus.« Mrs. Crome trug ihre rosa getönten Haare in spraysteifen Löckchen, in die India allzu gern einmal mit dem Fingernagel hineingestochen hätte. Als Marcus sie mit Mrs. Crome bekannt machte, flog der Blick der Frau einmal kurz

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