An einem Tag im Winter
zwischen ihnen hin und her, dann sagte sie: »Du meine Güte, so ein junges Ding noch«, und ihre Augenbrauen schnellten bis über die Ränder ihrer Brille hoch.
Im Frühling sprenkelten rosarote, weiÃe und gelbe Blumen die Wiesen. An den längsten Tagen im Sommer, wenn die Luft heià und feucht war, ruderte India gern mit dem Boot zur Mitte des Sees und blickte ins stille Wasser, in dem sich grün und bewegt die Bäume spiegelten. Dort, wo schmale, bewaldete Buchten ins Ufer einschnitten, schossen flinke kleine Fische umher und schimmernde Libellen. Wenn sie die Hand durchs Wasser gleiten lieÃ, blitzten die Kräuselwellen im Licht.
Im August kam Marcusâ Tochter Rowena zu Besuch, eine schöne dunkelhaarige Siebzehnjährige mit Launen. Sie schnitt India vom ersten Moment an und beantwortete ihre Fragen schlecht gelaunt und betont gelangweilt. Am zweiten Tag ihres Aufenthalts musste Marcus für zwei Stunden ins College. Sobald die Haustür hinter ihrem Vater zugefallen war, sagte Rowena zu India: »Erwarte bloà nicht, dass ich mit dir rede. Ich bin wegen Daddy hier, nicht deinetwegen.« Dann ging sie zum See und rauchte eine Zigarette nach der anderen. India nahm es ihr nicht übel; sie vermutete, dass sie sich an Rowenas Stelle genauso verhalten hätte. Ohnehin war ihr Rowena genauso lästig wie sie dem jungen Mädchen. Ständig dieses Herumgehänge an Marcusâ Arm, ständig dieses Schmeicheln und Schöntun: Ach, Daddy, du hast mir so gefehlt . Rowena mochte Violas Essen nicht; sie hatte nichts anzuziehen, und Marcus musste mit ihr zum Einkaufen fahren, das Haus und Midhurst waren langweilig. Du meine Güte , wie Mrs. Crome gesagt hätte. Rowena Pharoah war ein verzogener Fratz, aber es war angenehm, dass Marcusâ Aufmerksamkeit sich zur Abwechslung eine Woche lang auf jemand anderen konzentrierte.
Ausflüge mit Rowena waren anstrengend. Sie behauptete, beim Autofahren werde ihr immer übel, also saà sie in dem Kombi, den Marcus zusätzlich zu seinem Austin Healey angeschafft hatte â für Gosse hatte er einen Pick-up gekauft â, vorn neben ihrem Vater und India hinten auf dem Rücksitz. Nach den ersten zwei Tagen gab India alle Bemühungen auf und blieb zu Hause. Das ärgerte Marcus, der der Meinung war, sie müssten miteinander auskommen, aber Indias Langmut hatte ihre Grenzen, und auÃerdem wurde ihr hinten im Auto immer schlecht. Allein im Haus, bemerkte sie, dass ihr eigentlich fast dauernd schlecht war. Während sie nägelkauend auf dem Badewannenrand saà und das Gefühl hatte, sich gleich übergeben zu müssen, fragte sie sich, was mit ihr los war.
Am folgenden Morgen beim Frühstück warf sie nur einen Blick auf die Spiegeleier auf ihrem Teller und rannte ins Bad. Als sie an den Tisch zurückkehrte, meinte Marcus, sie solle heute besser im Bett bleiben. Er hasste Krankheiten und hatte mit Leuten, die nicht vor Gesundheit strotzten, am liebsten nichts zu tun.
Doch India sagte: »Ich bin nicht krank. Ich glaube, ich bin schwanger.«
Rowenas Reaktion erinnerte India daran, wie einmal der Durchlauferhitzer in Rachels Wohnung explodiert war.
»Schwanger?«, sieà sie entsetzt hervor.
»Ja. Ich bekomme ein Kind.«
»Das kannst du nicht machen.«
»Doch, stell dir vor, ich kann«, erwiderte India sehr ruhig.
»Das ist ja ekelhaft!«, schrie Rowena auÃer sich.
»Findest du?« India schenkte sich eine Tasse Tee ein. »Aber siehst du, so was passiert, wenn zwei Leute heiraten.«
Rowena stürzte schluchzend aus dem Zimmer. India zuckte mit den Schultern. Marcus sagte, sie hätte taktvoller sein können. India versetzte, Rowena benehme sich wie eine Sechsjährige. Ein Wort gab das andere, bis auch er wütend wurde und aus dem Zimmer stürmte. India blieb allein am Frühstückstisch sitzen, strich mit dem Daumennagel an der Naht ihrer Serviette entlang und dachte darüber nach, dass er nicht ein Wort der Freude geäuÃert hatte.
Rowena bestand darauf, dass ihr Vater sie noch am selben Tag nach Boston fuhr. Seitdem hatte sie sich nicht mehr blicken lassen. Sie schrieb Briefe, die Marcus stirnrunzelnd am Frühstückstisch las und dann einsteckte. India holte sie später aus einem Fach in seinem Arbeitszimmer und las sie ebenfalls, kleine Meisterwerke des Grolls und des Selbstmitleids.
Die ersten Blätter fielen, das
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