Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
gereicht wurden. Die Abendsonne breitete ihren aprikosengoldenen Schein über die Wiesen und den See.
    Ganz die perfekte Gastgeberin, ging sie von Gast zu Gast, erkundigte sich nach Urlaub und Kindern, sorgte dafür, dass jeder ein Getränke und ein Canapé hatte. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie Marcus sich umdrehte und sie musterte.
    Als er zu ihr trat, kniff er mit zwei Fingern in das weiche Fleisch ihres Oberarms. »Was soll das?«, zischte er sie an. »Du siehst aus wie ein Flittchen. Geh sofort nach oben und zieh dich um.«
    Â»Mir gefällt das Kleid, Marcus.« Sie flüsterte nicht, und ein paar Leute drehten die Köpfe.
    Der Studiendekan stand nur einen Schritt entfernt. India legte ihm die Hand auf den Arm. »Lowell, wie schön, Sie zu sehen. Lassen Sie mich Ihnen etwas zu trinken besorgen. Ist es nicht ein herrlicher Abend?«
    Als die Gäste gegangen, die Serviermädchen und die Kinderschwester bezahlt und nach Hause geschickt worden waren, kam er zu ihr in die Küche, wo sie gerade beim Aufräumen war.
    Â»Tu so etwas nie wieder«, sagte er.
    India hielt prüfend ein Glas, das sie gerade abtrocknete, ans Licht. »Was denn, Marcus?«
    Â»Versuch nie wieder, mich lächerlich zu machen.«
    Â»Ich finde, es war ein gelungener Abend.«
    Â»Du magst wütend auf mich sein«, sagte er leise, »du magst mich vielleicht sogar abstoßend finden, aber du brauchst mich. Ohne mich wärst du nichts.«
    Â»Ich bin ohne dich sehr gut zurechtgekommen.« Sie stellte das Glas in einen Schrank. »Ja, ich finde dich abstoßend, Marcus. Am Anfang habe ich dich gemocht, aber jetzt nicht mehr. Ich finde es abstoßend, wie du dich verhältst. Du lässt mich doch von Gosse bespitzeln, oder nicht? Und du hast an das Waisenhaus geschrieben und dich nach mir erkundigt. Ich habe die Briefe in deinem Schreibtisch entdeckt. Wie konntest du nur? Wie konntest du so hinterhältig sein?«
    Â»Ich musste wissen, was ich zu erwarten hatte. Das wirst du ja wohl verstehen.«
    Â»Und wenn du erfahren hättest, dass ich ein minderwertiges Geschöpf bin, hättest du mich ausgemustert.«
    Â»Du bist kein minderwertiges Geschöpf.« Er lehnte an der Tür des Kühlschranks, lockerte seine Krawatte und trank. Dann sagte er: »Du bist vielleicht ein bisschen abgegriffen, aber nicht minderwertig .«
    Â»Und genauso wenig minderwertig ist Abigail. Sie ist ein schönes, gesundes Kind, und du würdigst sie kaum eines Blickes.«
    Â»Ich kann kleinen Kindern nichts abgewinnen. Das wird sich sicher ändern, wenn sie größer wird.«
    India nahm sich eine Zigarette und zündete sie mit ihrem Feuerzeug an. »Ach, du meinst, erst ignorierst du sie, und dann verwöhnst du sie, damit sie genauso ein verzogener, nach deiner Aufmerksamkeit ausgehungerter Fratz wird wie Rowena.«
    Die Hand schloss sich fester ums Glas. »Hör auf, India.«
    Â»Was denn? Ich darf nicht sagen, was ich von deiner heiß geliebten Tochter halte, aber du darfst unsere links liegen lassen?«
    Ein hässlicher Zug trat in sein Gesicht. »Na ja, ich hätte es mir ja denken können. Letztlich bewahrheitet sich die alte Weisheit vom Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt, immer wieder.«
    Â»Was soll das heißen?«
    Â»Schlechtes Blut.« Seine Stimme war leise, voll falscher Freundlichkeit. »Weißt du noch, wie du mich danach gefragt hast? Deine Mutter hatte schlechtes Blut. Vielleicht hat sie es an dich weitergegeben.«
    Â»Halt den Mund«, sagte sie scharf.
    Â»Sie hat nicht zur Mutter getaugt. Sie hat ihre Kinder vernachlässigt. Begreif’s endlich, du und Sebastian, ihr wart ihr die Mühe nicht wert. Vielleicht schlägst du nach ihr. So wie du dich heute Abend aufgeführt hast, fange ich langsam an, es zu glauben. Ich muss in Zukunft besser auf dich aufpassen. In deinem eigenen Interesse und im Interesse unserer Tochter.«
    Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, als wolle sie so ihren Zorn zurückhalten. Es hatte keinen Sinn, sich mit Marcus anzulegen, man zog immer den Kürzeren. »Ich bin Abigail eine gute Mutter«, erklärte sie ruhig. »Und ich sag dir eins: Ich werde mich meiner Tochter niemals schämen. Ganz gleich, wie sie sich entwickelt, ganz gleich, ob sie schön wird oder hässlich, klug oder einfältig, ich werde sie immer lieben, und ich werde immer stolz auf

Weitere Kostenlose Bücher