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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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fliegt mit dem Flugzeug – immer höher, bis in den Himmel –, und schsch, geht’s wieder abwärts . Abigail lachte mit zahnlosem, weit geöffnetem Mund.
    Draußen läutete es. Marcus war in seinem Arbeitszimmer, Viola für zwei Stunden nach Hause gegangen. India legte Abigail auf die Decke auf dem Boden und ging hinaus. Es war der Blumenhändler mit den Arrangements für das Fest. India half ihm, die Blumen hineinzutragen, und suchte dann nach ihrem Portemonnaie. Im Wohnzimmer hörte sie Abigail weinen und rief Marcus zu, er solle nach ihr sehen. Endlich fand sie das Portemonnaie in der Garderobe in einer Manteltasche und suchte gehetzt nach Scheinen, um die Rechnung zu bezahlen. Abigail weinte immer noch. Als der Blumenhändler weg war, lief sie ins Wohnzimmer. Abigail lag mit rotem Gesicht schreiend auf dem Boden. Marcus stand ein paar Meter entfernt und beobachtete seine Tochter mit dem gleichen abschätzenden Blick, mit dem er wahrscheinlich seine wissenschaftlichen Experimente betrachtete.
    India rannte an ihm vorbei und hob Abigail hoch. Dann hielt sie ihm das Kind hin. »Nimm sie«, sagte sie. Sie konnte vor Wut kaum sprechen. »Los, nimm sie. Sie ist deine Tochter, Marcus. Warum rührst du sie nie an? Was ist los mit dir? Wenn du kein Kind mehr wolltest, warum hast du dann zugelassen, dass ich eins bekomme?« Ihre Stimme zitterte, so sehr strengte sie sich an, nicht zu schreien.
    Â»Damit du etwas zu tun hast«, erwiderte er ruhig, »und nicht mich und dich zum Gespött machst, indem du dich ständig im Ort rumtreibst und wildfremde Leute anquatschst.«
    Damit ging er hinaus. India hielt Abigail fest an ihre Schulter gedrückt und rang nach Atem, als wäre sie sehr schnell gerannt.
    In der Küche wärmte sie Abigails Flasche im Wasserbad. Sie starrte auf die winzigen Bläschen, die sich auf dem Grund des Topfs bildeten, bevor sie an die Oberfläche stiegen und zerplatzten. Als die Flasche warm war, nahm sie Abigail mit nach oben, um sie zu füttern. Ihre Tochter fest im Arm, setzte sie sich in den niedrigen Sessel neben dem Kinderzimmerfenster.
    Auf Marcus’ Geheiß hatte sie eine Kinderschwester engagiert, die sich während des Fests um Abigail kümmern würde. Nachdem sie ihr Kind gefüttert hatte, wickelte sie es frisch und sorgte dafür, dass alles bereitlag. Viola kam zurück, um letzte Hand an die Speisen zu legen. Als die Kinderschwester eintraf, zeigte India ihr alles, bevor sie ging, um sich für das Fest zurechtzumachen. Nach einem warmen Bad schlüpfte sie in ihren Bademantel und trat vor ihren Schrank, um sich ein Kleid auszusuchen. Ganz am Ende der Stange bemerkte sie das weiße Satinkleid, das sie vor Jahren auf dem Markt in der Berwick Street gekauft hatte. Es war schon damals nicht neu gewesen, und sie hatte es viele Male getragen. Der geraffte Satin des tief ausgeschnittenen Oberteils war vergilbt, der Saum des Schlitzes vorn im weiten Glockenrock ein wenig ausgefranst.
    Sie stieg hinein und zog mit einiger Mühe den Reißverschluss im Rücken zu. Dann setzte sie sich an den Toilettentisch und verteilte Make-up in ihrem Gesicht, zog geschwungene Lidstriche über ihren Augen, tuschte die Wimpern und strichelte ihre Augenbrauen nach, um sie tiefdunkel zu machen. Sie wählte den grellsten Lippenstift, den sie besaß. Nie die Accessoires vergessen , murmelte sie vor sich hin und öffnete ihren Schmuckkasten. Die kobaltblauen Blumen waren irgendwo auf der langen Reise von der Londoner Wohnung nach Vermont verloren gegangen, aber Marcus hatte ihr zum Geburtstag eine große, auffallende Brillantbrosche in Form eines Kometen geschenkt, die sie sich nun an den Busen steckte. Befriedigt blickte sie in den Spiegel und schürzte den Mund wie zum Kuss.
    Sie blieb im Ankleidezimmer, bis sie die ersten Autos vorfahren hörte. Als es klopfte, öffnete sie die Tür.
    Viola riss die Augen auf bei ihrem Anblick. »Mr. Pharoah lässt fragen, ob Sie runterkommen, Mrs. Pharoah.«
    India fuhr sich mit den Händen über die Taille, um den Satin zu glätten. »Gefällt es Ihnen?«
    Viola lachte. »Sie sehen toll aus, Mrs. Pharoah. Wie Marilyn Monroe.«
    India ging langsam die Treppe hinunter. Ein halbes Dutzend Gäste waren im Entree versammelt und legten Sommermäntel und Hüte ab. Sie begrüßte sie und führte sie auf die hintere Veranda, wo Cocktails

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