Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
können. Wir haben es uns geteilt, Kaminski, Pharoah und ich.«
    Der Pfad mündete in eine breite Schneise. Rumpelnd rollte der Schubkarren über den harten, durchfurchten Boden. Nicht weit entfernt stand ein kleines Backsteinhaus. Ellen fiel es schwer, sich die drei damals noch jungen Männer, so unterschiedlich in Charakter und Erfahrung, unter einem Dach vorzustellen. Pharoah, brillant und ehrgeizig; Kaminski, im Exil lebend und vom Krieg schwer beschädigt; und Redmond – aber es war ihr unmöglich, sich ein Bild von einem jungen Dr. Redmond zu machen. Hatten sie abends nach einem langen, harten Arbeitstag zusammengegessen? Hatten sie Zigaretten geraucht und Bier getrunken und miteinander gelacht und Zukunftspläne geschmiedet?
    Vor dem Cottage angekommen, öffnete Dr. Redmond die Tür und holte eine verbeulte Kohlenschütte heraus, die er mit dem gesammelten Holz zu füllen begann.
    Â»Sie kennen Dr. Pharoah schon sehr lange, nicht wahr?«, fragte sie neugierig.
    Â»Ich kannte ihn schon vor dem Krieg. Er kam damals aus Amerika zurück, nachdem seine Frau gestorben war. Wir haben zusammengearbeitet.«
    Sie suchte gerade nach einer passenden Erwiderung – einer Bemerkung über alte Freundschaft, die Freuden wissenschaftlicher Zusammenarbeit –, als sein Gesicht plötzlich bitter wurde. Mit mühsam unterdrücktem Zorn sagte er: »Damals war er ganz anders. Damals war er ein besserer Mensch. Heute ist Marcus Pharoah ein Lügner und Plagiator, aber das lasse ich ihm nicht durchgehen. Die anderen vielleicht, aber ich nicht.«
    Dann schob er den Schubkarren ums Haus herum und ließ Ellen einfach an der Tür stehen.
    Mittwochabend. Ellen saß in der Bar des University-Arms-Hotels in Cambridge, und Marcus Pharoah gab dem Kellner ihre Bestellungen. Als Ellen um eine Zitronenlimonade bat, sagte er: »Ich glaube, nach dieser langen Sitzung können Sie einen Gin dazu brauchen. Einen Gin Lemon, bitte«, wandte er sich an den Kellner, »und einen Johnnie Walker mit Wasser ohne Eis.« Dann sah er Ellen lächelnd an. »Das war ja der reinste Marathon. Diese Veranstaltungen nehmen manchmal überhaupt kein Ende. Ich hoffe nur, Sie haben sich nicht zu sehr gelangweilt.«
    Â»Ãœberhaupt nicht, Dr. Pharoah – äh, Entschuldigung – Marcus.«
    Sie hatten zu dritt an der Konferenz teilgenommen, die am Nachmittag im Cavendish-Laboratorium der Universität Cambridge stattgefunden hatte: Ellen – geschmeichelt und aufgeregt –, Dr. Pharoah und Dr. Farmborough. Als sie das Institut um halb sieben verlassen hatten, war Dr. Farmborough gleich verschwunden. »Ich muss noch zu einem Mann, der uns eventuell einen Hund verkaufen will«, hatte er eilig erklärt.
    An den anderen Tischen in der Bar blätterten Männer in Anzügen Zeitungen durch und schauten hin und wieder mit wichtiger Miene auf die Uhr. Jetzt sitze ich in einer eleganten Hotelbar in Cambridge beim Drink mit Marcus Pharoah, dem Direktor von Gildersleve Hall, dachte Ellen. Draußen funkelte die in Frost geschlagene Stadt wie Glas. Die Silhouetten der Gebäude verschwammen im Dunst, als stünden sie unter Wasser.
    Â»Solche Sitzungen gehören leider zum wissenschaftlichen Alltag«, erklärte Marcus Pharoah. »Da ist es nützlich, wenn man es schafft, auch bei der zehnten Wiederholung desselben Arguments noch ein interessiertes Gesicht zu machen.« Als die Getränke gebracht wurden, stieß er mit ihr an. »Auf eine lange und erfolgreiche Karriere, Ellen.«
    Â»Danke.«
    Â»Erzählen Sie mir doch etwas von sich. Haben Sie Familie?«
    Â»Meine Eltern und einen jüngeren Bruder.«
    Der Blick der dunklen, schwerlidrigen Augen ruhte ernst und aufmerksam auf ihr. Gegenstand von Marcus Pharoahs Interesse zu sein war ungeheuer schmeichelnd. Man fühlte sich wichtig, als hätte man Hörenswertes zu sagen, aber es war auch eine Spur irritierend.
    Â»Wünschen Sie sich, dass Rowena auch einmal Naturwissenschaftlerin wird, Marcus?«
    Er lächelte. »Das wäre schön, ja, besonders wenn es ihr gelänge, dabei so charmant und sympathisch zu bleiben wie Sie und Mademoiselle Fournier. Aber sie interessiert sich leider überhaupt nicht für diese Materie. Im Moment ist sie fest entschlossen, etwas mit Kunst zu machen.«
    Â»Das ist doch toll.«
    Â»Ja, finde ich auch. Aber warten wir es ab.

Weitere Kostenlose Bücher