An einem Tag im Winter
Ideen an vorderster Front zu stehen.« Er lachte. »Als ich noch jung war, bin ich herumgesaust wie aufgezogen, um allen und jedem meine neuesten Ideen aufzutischen. Ein bisschen wie Martin. Aber mit der Zeit â¦Â« Er schwieg stirnrunzelnd und senkte die Stimme. »Was hatte ich damals für Träume und Ambitionen!«
Er wirkte so verändert, als hätte jemand einen Vorhang geschlossen und alles Licht ausgesperrt. Wer ihn da so allein in der Bar hätte sitzen sehen, hätte ihn wahrscheinlich für einen dieser trübseligen Männer in der Mitte des Lebens gehalten, die ihren Kummer im Alkohol ertränken.
»In der Jugend stellen wir uns vor, wenn wir dies oder jenes schaffen, werden wir uns eines Tages zufrieden zurücklehnen können.« Er nahm sein Glas und schwenkte den Whisky darin. »Vielleicht sogar ein bisschen stolz auf uns sein. Wir wissen noch nicht, dass die Angst vor dem Scheitern niemals ganz aufhört.«
Sie war erstaunt. »Aber sind Sie denn nicht stolz auf das, was Sie aus Gildersleve Hall gemacht haben?«
Er lachte leicht. »Doch, natürlich.«
Ellen sah auf ihre Uhr. »Ich muss zu meinem Bus. Vielen Dank für die Drinks, Marcus.«
»Nun laufen Sie doch nicht gleich weg.« Auch er schaute auf die Uhr. »Ich habe später noch einen Termin hier. Wollen wir nicht irgendwo zusammen essen?«
Der Ton seiner Stimme, so warm und schmeichelnd, und sein einladender Blick waren beinahe unwiderstehlich. Wenn er einen so ansah, wenn er so mit einem sprach, wollte man ihm unbedingt gefällig sein,würde alles für ihn tun â fast alles.
Und doch verhärtete sich der kleine Kristall des Zweifels in ihr. »Das geht leider nicht«, erklärte sie lächelnd. »Bei meiner Wirtin wird abends immer um Punkt sieben gegessen. Da kann ich nicht einfach wegbleiben, das würde sie verletzen.«
»Dann rufen Sie sie doch an, Ellen.«
»Sie hat kein Telefon.«
»Aber sie wird es doch sicher verstehen.« Sie sah die Herausforderung in seinem Blick.
»Nein, tut mir leid, ich muss wirklich nach Hause. Wenn ich mich beeile, erwische ich den Bus noch.« Sie stand auf und stieà in ihrer Eile beinahe ihr Glas um, als sie ihm die Hand bot.
Auch Pharoah stand auf. »Es war ein sehr interessanter Abend.«
Ihr Atem stieg in kleinen Dampfwölkchen auf, als sie die St. Andrewâs Street hinaufeilte, und sie bemerkte vereinzelte Schneeflocken, die trotz des Nebels durch die Luft schwebten. In Gedanken lieà sie noch einmal den Abend vor sich ablaufen. War diese Einladung zu einem Drink eine freundschaftliche Geste gewesen oder vielleicht eine Art auÃerdienstlicher Test, ein sanfter Hinweis, dass sie sich noch mehr anstrengen, ihren Einsatz erhöhen müsse, wenn sie in Gildersleve Hall bleiben wollte?
Oder war es mehr als das gewesen? Sie hatte das Gefühl, dass sie allzu schnell zum Privaten, zum Persönlichen gekommen waren. Alison ist schon einige Zeit nicht ganz gesund. Das hatte geklungen, dachte sie, als litte Alison Pharoah an einer Gemütskrankheit. Warum hatte er ihr das erzählt? Hatte er sich einfach jemandem anvertrauen müssen? Konnten Macht und Position so sehr isolieren, dass man manchmal, zermürbt von Verpflichtungen und der Belastung durch eine kranke Frau, seinem Herzen Luft machen musste, ohne Rücksicht darauf, wen man vor sich hatte? Sie erinnerte sich des Drucks seiner Hand auf ihrem Arm, der Berührung seiner Fingerspitzen.
Ihr Bus fuhr soeben an. Sie rannte über die StraÃe und sprang gerade noch auf die Plattform. Drinnen roch es nach Metall und Gummi und nach Zigarettenrauch. Du dumme Gans, schalt sich Ellen auf der Suche nach einem Sitzplatz, läufst vor einer Einladung zum Abendessen mit Marcus Pharoah davon wie ein prüdes Schulmädchen. Wo er dir so viel bieten könnte!
Aber genau das war die Frage. Was war denn im Angebot gewesen? Ein Abendessen in einem Restaurant â oder mehr? Irgendwann hatte das Gespräch eine Wendung genommen, die ihr nicht behagt hatte. Hatte Alec sie neulich Abend davor warnen wollen? Aber was kümmerte es Alec Hunter, ob Marcus Pharoah sich für Ellen Kingsley interessierte? War Alec ein Vertrauter von Pharoah? Sie glaubte es nicht. Gerade mit ihm stritt Alec bei den Seminaren, gerade seine Beiträge auseinanderzunehmen schien ihm das gröÃte Vergnügen zu bereiten.
Da war so vieles, was
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