An einem Tag im Winter
sie nicht an ihrer Zigarette zog, zupfte sie mit den Zähnen beinahe unablässig an der Nagelhaut der Finger ihrer freien Hand.
Leise ging Ellen hinaus. So viele Menschen in diesem Haus, dachte sie, und Alison Pharoah stand allein ihrem Wintergarten und weinte.
Ihre vorher so heitere Stimmung war verflogen, von Ernüchterung verdrängt. Der Glanz, der das Leben der Pharoahs umgab, schien eine dunkle Unterströmung zu verdecken, und jetzt sah sie auch ihre Begegnung mit Alec am Freitagabend mit kühlerem Blick, ein Gespräch unter Kollegen, das wenig zu bedeuten hatte. Sie wollte plötzlich nur noch weg, nach Hause in ihr stilles Zimmer bei Mrs. Bryant. Nachdem sie sich bei Marcus Pharoah nochmals für die Einladung bedankte hatte, lieà sie sich Mantel und Mütze bringen und radelte nach Hause.
2
NOVEMBER. SAATKRà HEN STIESSEN IHRE Schnäbel in die eisenharten Schollen umgebrochener Erde, Reif weiÃte die Felder. Ein eisiger Wind blies durch die Ritzen um Fenster und Türen von Gildersleve Hall. Ellen, die Kochsalzlösungen zubereitete, um darin Hämoglobinkristalle zu suspendieren, hatte vor Kälte steife Finger. Sie beobachtete die sich verändernden Muster unter dem Mikroskop und notierte GröÃe und Form der Kristalle, ihre Färbung, ihre Besonderheiten und UnregelmäÃigkeiten.
Als sie am Ende des Tages zum Fahrradschuppen ging, traf sie dort Alec Hunter.
»Ganz schön kalt, nicht?«, sagte sie.
Er sah sich um, als hätte er Reif und Eis noch gar nicht bemerkt, und antwortete höflich: »Ja, stimmt.«
Sie hätte gern gewusst, ob er auf sie gewartet hatte.
Seite an Seite schoben sie ihre Räder den Weg entlang. Halb rechnete sie damit, dass er davonfahren würde, sobald sie den Vorplatz erreichten â ein kurzes Winken, dann auf und davon, um zu tun, was auch immer Alec Hunter abends tat â, aber er ging weiter neben ihr her, wenn er auch auf ihr Bemühen, ein Gespräch in Gang zu halten, kaum einging.
Die Zypressen an der Einfahrt schirmten sie vom Haus ab. »Ich habe gehört, dass Sie am Samstag bei Pharoah zum Mittagessen eingeladen waren«, sagte Alec plötzlich.
»Ja, das stimmt«, bestätigte sie überrascht. Das war nun wirklich das Letzte, was sie von ihm zu hören erwartet oder, wenn sie ehrlich war, zu hören gehofft hatte. »Es war sehr nett«, fügte sie hinzu.
»Das freut mich.«
Bedeutungsvolles Schweigen hatte sie noch nie gut aushalten können, deshalb bemühte sie sich weiter. »Waren Sie schon einmal bei ihm zu Gast?«
»Ich? Nein. Ich bin nicht sein Fall.« Eine seltsame Bemerkung. Mussten sie nicht alle Pharoahs »Fall« sein, da er sie doch ausgewählt hatte, mit ihm zusammenzuarbeiten?
Am Tor blieb Alec Hunter stehen. Das Lampenlicht warf tiefe Schatten auf sein Gesicht. »Ich wollte nur sagen â seien Sie vorsichtig, Ellen.«
»Vorsichtig? Wieso?« Die Anspannung machte sie empfindlich. »Ich habe mich nicht mit SoÃe bekleckert und auch nicht vom Messer gegessen, falls Sie das meinen sollten.«
»Nein, natürlich nicht.« Er runzelte die Brauen. »Was halten Sie denn von Pharoah?«
»Er ist ein auÃergewöhnlicher Mensch. Unglaublich, was er erreicht hat.«
»Es hat schon andere vor Ihnen gegeben, wissen Sie. Einige lieÃen ein ganz kleines bisschen zu wünschen übrig, und andere â sagen wir einfach, sie haben nicht gepasst.«
»Ich weiÃ, dass ich mich erst bewähren muss. Ich gebe mir die gröÃte Mühe.«
Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Ihr fiel auf, dass er weder Mütze noch Handschuhe trug, und sie fragte sich, ob er damit beeindrucken wollte â der schottische Naturbursche, in Harmonie mit den Elementen.
»Pharoah entwickelt manchmal ein Faible für jemanden«, sagte er. »Das ist gut und schön, wenn man selbst der Bevorzugte ist, aber wehe, er fühlt sich aus irgendeinem Grund enttäuscht.«
Seine Worte trafen sie wie eine kalte Dusche. Jetzt weià ich wenigstens, was du von mir hältst, Alec Hunter. Du denkst offensichtlich, ich sei meiner Arbeit nicht gewachsen.
»Ich habe nicht die Absicht, ihn zu enttäuschen«, entgegnete sie kalt.
»Es kann trotzdem passieren, selbst wenn man sein Bestes gibt. Pharoah ist unberechenbar. Ein bisschen Distanz kann da nicht schaden.«
»Ich halte es für ziemlich
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