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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Punsch. »Das ist ja ein fürchterlicher Gestank«, bemerkte Martin naserümpfend, »was hast du da reingetan, Paddy?«
    Â»Brandy und Nelken. Und meine Geheimzutat.«
    Â»Schlangengift …«
    Â»Lebertran.«
    Â»Wer kommt später mit ins Pub?«
    Â»Ein paar von uns haben Familie, Finch.«
    Marcus Pharoah kam herein.
    Â»Ein Glas Punsch, Pharoah?«, fragte Padfield.
    Â»Danke, nein, Paddy.«
    Â»Wie war es in Amerika?«
    Â»Eine gelungene Reise. Es gibt da einige interessante Dinge. Lassen Sie uns doch gelegentlich ein Glas zusammen trinken, Bill, dann bringe ich Sie auf den neuesten Stand. Jan, hast du die Unterlagen, um die ich dich gebeten hatte?«
    Jan Kaminski stand auf. »In meinem Büro.«
    Â»Danke. Mir sitzt der Medical Research Council im Nacken.« Pharoah ging zur Tür. »Schöne Feiertage Ihnen allen, und ich freue mich auf das Wiedersehen im neuen Jahr.« Er wandte sich Ellen zu. »Würden Sie bitte zu mir ins Büro kommen, wenn Sie Ihren Tee ausgetrunken haben, Miss Kingsley?«
    Pharoah ging. Alles war wie vorher, der Nelken-Orangen-Geruch des Punschs, das Klappern der Tassen und Untertassen, die Besserwisserei des Beta-Gruppen-Kollegen, der sofort Jan Kaminskis Platz einnahm. Trotzdem war Ellen zumute, als säße ihr ein Bleiklumpen in der Kehle, sie hatte Mühe, noch einen Schluck Tee zu trinken, bevor sie ihre Tasse zum Spülbecken trug.
    In der Kammer fuhr sie sich mit dem Kamm durch die Haare und prüfte ihr Gesicht. Dann ging sie zu Marcus Pharoah ins Büro.
    Er bat sie herein, forderte sie auf, sich zu setzen, und erklärte ihr, dass leider nicht alles so geklappt habe, wie er sich das erhofft hatte; er bedaure das, aber er sei überzeugt, sie werde eine ihren Fähigkeiten gemäße Nische finden. So leid es ihm tue, nach Gildersleve Hall könne sie nach Weihnachten nicht zurückkehren. Sein Blick war ohne Erbarmen, so gnadenlos wie der des Henkers, der das Beil herabsausen lässt.
    Zurück im Labor, trat Ellen ans Fenster und drückte die Stirn an die Scheibe. Regen trommelte gegen das Glas.
    Sie schloss die Augen.
    Â»Sie gehen?«, fragte Andrée.
    Â»Ja.«
    Â»Wann?«
    Â»Jetzt.«
    Sie trat vom Fenster weg und begann, die Sachen von ihrem Schreibtisch in ihre Aktentasche zu fegen: Stifte, Papiere, Tagebücher, Rechenschieber.
    Â»Ach, Ellen.«
    Ah, schon fing es an. Mitleid, Bestürzung, Missbilligung und vielleicht ein wenig Schadenfreude: All das würde sie über sich ergehen lassen müssen.
    In der Kammer zog sie ihren Mantel an. Andrée war ihr gefolgt. »Wie kommt er dazu?«, fragte sie. »Das ist absolut nicht in Ordnung.« Ganz unerwartet drückte sie Ellen die Hand und umarmte sie. »Aber vielleicht können Sie froh sein.«
    Draußen waren alle auf den Beinen, in Gedanken schon zu Hause. Abschiedsgrüße schallten durch die Eingangshalle. Ellen fühlte sich wacklig, als sie die Treppe hinunterging, und hielt sich am Geländer fest. In diesem Moment konnte sie verstehen, wie man, unter Schock schwankend, das Gleichgewicht verlieren und stürzen konnte. Noch eine Treppe, dann durchquerte sie die Eingangshalle zur Tür. Draußen regnete es noch immer aus einem verhangenen grauen Himmel.
    Ein Stück vor ihr war Alec Hunter auf dem Weg zum Fahrradschuppen. Sie trat zurück, in den toten Winkel des Nebengebäudes, wo sie im dämmrigen Tunnel unter Geisblattgerank und tief hängenden Bartflechten nicht zu sehen war, und wartete, bis er gegangen war. Sie hörte Gosses Axtschläge und das Kläffen des Hundes, der im Küchengarten herumrannte. Als Alec auf dem Weg zum Vorplatz an ihr vorbeiging, glaubte sie, er müsste ihr Herz klopfen hören. Aber er drehte sich nicht um, und sie drückte die geballten Fäuste auf ihren Mund. Was sollte sie ihrer Familie sagen? Was ihrem Vater? Wie sollte sie die Grabesstimmung heute Abend bei dem Essen ertragen, das ein fröhliches Fest hätte werden sollen?
    Gefühle der Scham und des Versagens erschütterten sie in diesem Moment so tief, dass sie sich nicht von der Stelle rühren konnte. Sie ließ die Aktentasche fallen und lehnte sich haltsuchend an die Holzwand des Schuppens. Nach einiger Zeit begannen die kalte Luft und der Regen, der ihr ins Gesicht tropfte, sie wieder zu beleben. Sie raffte sich auf, hob ihre Aktentasche vom Boden auf und schleppte sich

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