An einem Tag im Winter

nicht getroffen hätte, dass er es hinterher bedauern würde. Er bedauerte es, weil eine halbe Stunde in ihrer Gesellschaft ihm gezeigt hatte, was hätte sein können. Während er jetzt in der Küche Kartons auspackte, hielt er einen Moment inne, um sich der kurzen Fahrt vom Pub zu ihrem Haus zu erinnern, sich die Stille der schneebedeckten Landschaft und das tiefe, bittersüße Glück ins Gedächtnis zu rufen, das er in ihrer Nähe verspürt hatte.
    Sie begruben Dr. Redmond an einem kalten, windstillen Tag auf dem Friedhof in Copfield und tranken danach im Green Man auf ihn. Der Schnee schmolz und hinterließ Pfützen neben den kahlen Hecken. In Gildersleve schmückten die Sekretärinnen den Baum in der Eingangshalle und spannten Papiergirlanden. Grau und regnerisch rückte Weihnachten heran.
    Ellen fuhr mit Toby und Martin zu einer Parade nach Cambridge. Tobys Freundin Lise, die er in seinem Fahrradklub kennengelernt hatte, schloss sich ihnen an. Joe kam zu Besuch, und sie nahmen einen Zug zur Küste und machten einen langen Spaziergang am Kiesstrand bei Dunwich.
    Dr. Pharoah war immer noch in Boston. Ellens Beziehung zu Andrée war wie immer, freundlich distanziert; Alec Hunter ging sie aus dem Weg. Vielleicht hatten die beiden sich schon vor Wochen wiedergefunden. Vielleicht waren Alec und Andrée schon in der ganzen Zeit wieder ein Paar gewesen, als sie, Ellen, sich in ihrer Dummheit einzubilden begann, er würde sie mögen.
    Was Bryan Redmond anging, so schien ihr Inspector Riley mit seiner Interpretation der Ereignisse vielleicht doch recht zu haben. Pharoah hatte Redmond während des Krieges beruflich überflügelt. Man konnte sich gut vorstellen, wie es dazu gekommen war: Pharoah, wortgewandt und immer charmant, Redmond, verschlossen, kaum fähig, anderen in die Augen zu sehen. Jemand musste ihnen den Weg durch die Ausschüsse und die Gremien bahnen, die die Gelder vergaben; jemand musste an der richtigen Stelle das richtige Wort finden, und das wäre niemals Redmond gewesen. Vielleicht war es nicht unbedingt das, was einem als zukünftige Tätigkeit vorschwebte, diese bürokratische Federfuchserei und Katzbuckelei, aber wenn man wie Marcus Pharoah einen Traum hatte, zahlte man den Preis dafür gern.
    Es war möglich, dass Redmond mit Pharoahs rasantem Aufstieg nie fertiggeworden war, dass ein ewiger Groll an ihm genagt und sich im Lauf der Jahre immer tiefer gefressen hatte. Aus dem wütenden Wunsch heraus, Pharoah vom hohem Ross zu holen, hatte er in seinem Haus etwas gesucht – ganz gleich, was –, womit er ihn demütigen konnte, und dabei war er in einem Moment der Unachtsamkeit ausgerutscht und tödlich gestürzt. Auch sie selbst hatte sich unachtsam und tollpatschig verhalten, war in ein Gewirr von Leidenschaften und Geheimnissen hineingeraten, das sie nicht durchschaute, hatte unausgegorene Meinungen von sich gegeben, die sie besser für sich behalten hätte.
    Ellen kam sich vor wie auf einem Minenfeld voller Rivalitäten und zerbrochener Träume. Sie sehnte Weihnachten herbei und wollte nur noch nach Hause. Und im neuen Jahr dann würde sie nach Gildersleve Hall zurückkommen und neu anfangen.
    Am Abend vor ihrer Abreise packte sie den Koffer. Unten Schuhe, Bücher und Weihnachtsgeschenke, dann Röcke, Jacken und Blusen, ordentlich gefaltet, Unterwäsche und Strümpfe an den Seiten hineingestopft. Sie wollte gleich nach der Arbeit losfahren; ihr Vater würde sie am Bahnhof King’s Cross abholen. Ein Tisch in einem Restaurant war schon reserviert, sie würden mit Joe zusammen essen und dann über Nacht in einem Hotel bleiben, bevor sie am folgenden Morgen nach Wiltshire weiterreisten.
    In Gildersleve Hall herrschte Aufbruchsstimmung, als sie am nächsten Morgen ankam. Weihnachtskarten wurden verteilt, Arbeitsplätze aufgeräumt, letzte Notizen gemacht und in eiligem Auf und Ab zwischen den Stockwerken Dinge gesucht, die man verliehen oder verlegt hatte. Dr. Pharoah war aus Amerika zurück, sein Jaguar stand auf dem Vorplatz, und Ellen hörte aus dem unteren Stockwerk ab und zu seine volltönende Stimme.
    Am Nachmittag ging sie in den Aufenthaltsraum. Toby und Jan Kaminski spielten Schach; einer der Wissenschaftler der Beta-Gruppe schaute Toby über die Schulter und schnalzte tadelnd bei jedem Zug.
    Dr. Padfield bereitete in einem Glaskolben über einem Campingkocher