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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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herumschleichen. Doch an diesem Abend hielt die Erleichterung nicht lange an. Er fühlte sich betrogen und wehrte sich vergeblich gegen die aufsteigenden Gefühle, eine Mischung aus Groll und Verzweiflung.
    Er hatte Pearl im Frühling 1944 an einer Bushaltestelle in Nord-London kennengelernt. Von beiden Seiten war es Liebe auf den ersten Blick gewesen, eine Liebe voll heißer, verzehrender Leidenschaft im tristen und immer gefährlichen Kriegsalltag. Als er drei Wochen später mit den Landetruppen zur entscheidenden Offensive der Alliierten in die Normandie flog, waren sie verlobt. Während des schleppenden Vormarschs der alliierten Streitkräfte im Sommer und Herbst 1944 durch Frankreich und weiter durch das verschneite Belgien nach Deutschland hatten ihre Briefe und die Erinnerung an sie ihm Kraft und Trost gegeben.
    Als endlich, nach beinahe sechs Jahren Krieg, wieder Frieden war, wurde Riley zunächst zur Militärpolizei in Berlin abkommandiert und schließlich Ende 1946 aus dem Militärdienst entlassen. Er kehrte nach London zurück, wo Pearl auf ihn wartete. Eine Woche später wollten sie heiraten. Er brauchte nur einen Tag, um zu erkennen, dass sich während der zweieinhalb Jahre ihrer Trennung etwas entscheidend verändert hatte. Sie war die Gleiche geblieben, aber er war ein anderer geworden. Die wilde Überschwänglichkeit, die er früher so hinreißend an ihr gefunden hatte, irritierte ihn jetzt, und ihre plötzlichen Stimmungsumschwünge von jauchzender Glückseligkeit zu tiefer Niedergeschlagenheit, die er einst als etwas Besonderes, etwas Aufregendes empfunden hatte, zermürbten ihn.
    Doch nicht einen Moment lang dachte er daran, seine Vorbehalte zu äußern oder seiner Zukunft eine andere Richtung zu geben. Er hatte sein Versprechen gegeben, und er musste es einlösen. Er hatte sich, sagte er sich, einfach zu sehr ans Alleinsein und an das Militärleben gewöhnt. Die Liebe würde schon wiederkommen.
    Aber sie kam nicht. Alle schönen Erinnerungen an die feurige Leidenschaft ihrer ersten drei Wochen erkalteten in der nüchternen Realität des Ehealltags im trostlosen Klima der Nachkriegszeit. Die fortgesetzten Umzüge von einer Wohnung in die andere, bevor sie sich ein eigenes Haus leisten konnten, der allgemeine Mangel, die Rationierung und das gnadenlose Wetter des Winters 1947/48 wären selbst für das harmonischste Paar eine harte Prüfung gewesen. Aber sie waren kein harmonisches Paar; er konnte weder Pearls Ängste beruhigen noch ihre Sehnsüchte stillen; ihr waren bald seine langen Arbeitszeiten ein ständiger Dorn im Auge, und seine Unerschütterlichkeit reizte sie.
    Ein Jahr nach der Heirat wurde Pearl mit Annie schwanger. Während der Schwangerschaft ging es ihr gut, aber nach der Geburt verfiel sie in eine tiefe Depression. Der Arzt verschrieb Tabletten, und irgendwie wurstelten sie sich durch. Pearls Mutter Vera half ihnen mit der Kleinen, die zum Glück ein unkompliziertes Kind war, leicht zufriedenzustellen und so leicht liebzuhaben. Pearls Genesung ging langsam und stockend voran, auf ein paar Schritte nach vorn folgte unweigerlich ein Zurückgleiten in Schweigen und Düsternis. Das ewige Bemühen, ihren Zustand vor anderen geheim zu halten, war eine zusätzliche Belastung. Riley wusste nur zu gut, wie seine Kollegen reden würden. Die ist nicht ganz richtig im Kopf , würden sie sagen, völlig meschugge, übergeschnappt .
    Irgendwann war Pearl auf die Idee gekommen, sie könnten aufs Land ziehen, wegen der Natur und der frischen Luft, die so gesund für Annie wäre, und um einen Neuanfang zu machen. Die Natur und die frische Luft waren jedoch nur im Sommer angenehm, und Pearl begann bald, über die langen, kalten Winter zu jammern, in denen man rein gar nichts unternehmen konnte. Keine zwei Jahre später hatte sie mit gleicher Leidenschaft die Rückkehr nach London gefordert. Obwohl Riley froh war über den Umzug und gern zur Metropolitan Police zurückkehrte, musste er jetzt mit einer gewissen Wehmut an die kalte, winterlich stille Landschaft von Cambridgeshire denken.
    Und an Ellen Kingsley, die so angenehm ausgeglichen, intelligent und humorvoll war. Er dachte an ihre ruhigen grauen Augen und ihr locker fallendes rotes Haar. Gib es zu, Riley, du hast dich nur mit ihr getroffen, weil du sie ein letztes Mal wiedersehen wolltest.
    Er hatte gewusst, dass er sie besser

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